Charles Dickens - Der Weihnachtsabend


Charles Dickens - 4. Weihnachtsgeschichte
Der Weihnachtsabend
Eine Geistergeschichte.




Erstes Kapitel.
Marleys Geist.


Marley war tot; damit wollen wir beginnen. Darüber gibt es nicht den mindesten Zweifel. Sein Totenschein war unterschrieben von dem Geistlichen, dem Notar, dem Leichenwärter und dem Hauptleidtragenden. Scrooge unterzeichnete ihn. Und Scrooges Name hat unbedingte Geltung auf der Börse für jede Angelegenheit, an der er beteiligt war.
Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.
Paßt auf! Ich möchte damit nicht behaupten, daß für mein Wissen ein Türnagel etwas besonderes Totes an sich hätte. Was mich betrifft, ich möchte einen Sargnagel als das toteste Stück Eisen im Handel betrachten. Aber die Weisheit unserer Vorfahren ruht in dem Gleichnis; und meine unberufenen Hände sollen es nicht zerstören, sonst ist es um das Vaterland geschehen. Man wird mir deshalb gestatten, es nachdrücklich zu wiederholen, daß Marley so tot war wie ein Türnagel.
Wußte Scrooge, daß er tot war? Selbstredend wußte er es. Wie wäre es anders möglich gewesen? Scrooge und er waren ja – wer weiß wie lange – Kompagnons gewesen. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Sachwalter, sein einziger Erbe und sein einziger trauernder Hinterbliebener. Und nicht einmal Scrooge war von dem betrüblichen Ereignis genug mitgenommen, daß er sich nicht auch an dem Begräbnistag als ein hervorragender Geschäftsmann erwiesen und diesen durch einen erfolgreichen Handel festlich begangen hätte.
Der Hinweis auf Marleys Begräbnistag führt mich in meiner Erzählung wieder zu dem Punkt zurück, von dem ich ausgegangen bin. Es ist ganz sicher, daß Marley tot war. Das muß klar erkannt sein; sonst ist an der Geschichte nichts Wunderbares, die ich erzählen will. Falls wir nämlich nicht ganz und gar überzeugt wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück anfängt, würde sein nächtlicher Spaziergang im heftigen Ostwind auf der Terrasse seines Schlosses gar nichts Merkwürdiges an sich haben (Anspielung auf Shakespeares »Hamlet«, wo Hamlets Vater als Geist in den ersten Szenen erscheint und den Sohn bittet, seinen Mord zu rächen).. Nichts Merkwürdigeres, als wenn irgendein anderer Herr in besten Jahren sich nach Sonnenuntergang noch rasch zu einem Spaziergang in einer windigen Gegend – etwa auf dem St. Pauls-Friedhof – entscheidet, nur um seinem trägen Sohn aus seinem Stumpfsinn aufzujagen. Scrooge ließ Marleys Namen nicht übermalen. Noch nach Jahren stand über der Tür des Warenmagazins »Scrooge und Marley«. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Zuweilen nannten Leute, die Scrooge nicht kannten, ihn Scrooge und zuweilen Marley; er hörte auf beide Namen, denn es war ihm ganz gleich.
Oh, er verstand sich auf Menschenschinderei, dieser Scrooge! Ein erpresserischer, ausbeutender, zusammengrapschender, geiziger alter Sünder; hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen wärmenden Funken geschlagen hat; verschlossen und selbstsüchtig und nur für sich bedacht wie eine Auster. Seine innere Kälte machte seine alten Züge erstarren, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht voller Runzeln, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner knarrenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag über seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf seinem stoppeligen Kinn. Er verbreitete seine eigene niedrige Temperatur immer um sich her. In den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis; zur Weihnachtszeit taute er es nicht um einen Grad auf.
Äußere Hitze und Kälte hatten geringen Einfluß auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn erwärmen, keine Kälte ihn frieren machen. Kein Wind war schneidender als er, kein fallender Schnee erbarmungsloser, kein peitschender Regen unerbittlicher. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Hinsicht rühmen, ihm überlegen zu sein: sie spendeten ihre Gaben oft im Überfluß, und das tat Scrooge nie.
Hielt ihn jemals ein Bekannter auf der Straße an, um ihm freundlich zu sagen: Mein lieber Scrooge, wie steht's? Wann werden Sie mich einmal besuchen? Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wieviel Uhr es sei, kein Mann und kein Weib hat ihn je nach dem Weg gefragt. Selbst die Hunde der Blinden schienen ihn zu kennen; wenn sie ihn kommen sahen, zupften sie ihre Herren, daß sie in ein Haus träten, und wedelten dann mit dem Schwanze, als wollten sie sagen: Kein Auge ist immer noch besser als ein böses Auge, blinder Herr.
Doch was ging das Scrooge an? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch das Gedränge des Lebens zu gehen, jedes menschliche Gefühl in gehörige Entfernung zurückzuweisen – das war es, was Scrooge behagte.
Einmal, es war am besten aller Tage im Jahr, es war der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen war es schneidend kalt und dunstig, und er konnte hören, wie die Leute im Hof draußen prustend auf und nieder gingen, die Hände zusammenschlugen und mit den Füßen stampften, um sich zu erwärmen. Es hatte eben erst drei geschlagen, war aber schon ganz dunkel. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden, und in den Fenstern der benachbarten Kontore erblickte man Lichter, wie rote Flecken in der dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Ritze und durch jedes Schlüsselloch und war so dick, daß die gegenüberstehenden Häuser des sehr kleinen Hofes ganz geisterhaft ausschauten. Wenn man die trübe, dicke Wolke alles verfinsternd herabsinken sah, hätte man glauben können, die Natur wohne dicht nebenan und habe dort eine Großbrauerei eingerichtet.
Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis beaufsichtigen könne, der in einem erbärmlichen, kleinen Raume, einer Art Verließ, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer; aber des Clerks Feuer war noch so viel kleiner, daß es wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen; denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer; und jedesmal, wenn der Diener mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte der Herr, es würde wohl nötig sein, ihr Verhältnis zu lösen. Darauf band sich der Clerk seinen weißen Schal um und versuchte, sich an der Kerze zu wärmen, was, da er ein Mann von nicht zu starker Phantasie war, immer fehlschlug.
»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!« rief eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der ihm so schnell auf den Hals rückte, daß er sich erst durch diesen Gruß bemerkbar machte.
»Quatsch«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«
Der Neffe war vom Rennen so warm geworden, daß er ganz glühend war; sein Gesicht war rot und sah hübsch aus, seine Augen glänzten, und sein Atem dampfte.
»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges Neffe, »das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Ob er es ist!« sagte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«
»Nun«, versetzte der Neffe aufgeräumt, »was für ein Recht haben Sie, griesgrämig zu sein? Sie sind reich genug.«
Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort bereit hatte, sagte noch einmal »Quatsch« und brummte ein »Dummes Zeug« hinterher.
»Seien Sie nicht ärgerlich, Onkel«, sagte der Neffe.
»Was kann ich denn anders sein?« antwortete der Onkel, »wenn ich in einer Narrenwelt wie dieser lebe! Fröhliche Weihnachten! Zum Kuckuck mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für dich anders als ein Tag, wo du Rechnungen bezahlen müßtest, ohne Geld zu haben, ein Tag, wo du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, ein Tag, wo du die Bilanz deiner Bücher siehst und bei jedem Posten ein Defizit zwölf volle Monate hindurch entdeckst? Wenn es nach mir ginge«, sagte Scrooge erbost, »dann müßte jeder Narr, der mit seinem fröhlichen Weihnachten herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Pfahl von Stecheiche im Herzen begraben werden. Das wär' das Richtige!«
»Onkel!« sagte der Neffe.
»Neffe!« antwortete der Onkel erregt, »feiere du Weihnachten nach deinem Geschmack und laß es mich nach meinem feiern.«
»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe; »aber Sie feiern es nicht.« »Laß mich zufrieden«, sagte Scrooge. »Mag es dir recht viel einbringen! Es hat dir ja schon viel eingebracht.«
»Es gibt viele Dinge, die mir Gutes hätten bringen können, und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich«, antwortete der Neffe, »und Weihnachten ist eins von diesen. Aber das weiß ich bestimmt, daß ich Weihnachten, wenn es gekommen ist, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit angeschaut habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und des Erbarmens, als die einzige Zeit, die ich im langen Kalenderjahr kenne, wo die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen betrachten, als wenn sie wirklich Reisegenossen nach dem Grabe wären und nicht eine ganz andere Art von Lebewesen, die für einen ganz andern Weg vorgesehen sind. Und darum, Onkel, ob diese Tage mir gleich niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht haben, glaube ich doch, sie haben mir Gutes getan, und sie werden mir Gutes tun, und ich sage: Gott segne dieses schöne Fest!«
Der Diener in dem Verließe draußen klatschte unwillkürlich Beifall. Jedoch einen Augenblick später empfand er das Unschickliche seines Betragens, machte sich an den Kohlen zu schaffen und verlöschte den letzten kleinen Funken gänzlich.
»Wenn Sie mich noch einen einzigen Laut hören lassen«, sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten durch Ihre Entlassung. Du bist ein ganz gewaltiger Redner«, fügte er hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert mich nur, daß du nicht ins Parlament kommst.«
»Seien Sie nicht bös, Onkel. Essen Sie morgen bei uns.«
Scrooge sagte, er wolle ihn verdammt sehen, ja, wirklich, das sagte er. Er sagte es ganz ausdrücklich, und daß er dann erst ihn besuchen wolle. Ja wahrhaftig, er sprach sich ganz deutlich aus.
»Aber warum?« rief Scrooges Neffe, »warum?«
»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.
»Weil mich die Liebe ergriff!«
»Weil ihn die Liebe ergriff!« brummte Scrooge, als ob das das einzige Ding in der Welt wäre, das ihm noch lächerlicher vorkäme als eine fröhliche Weihnacht. »Guten Abend!«
»Aber, Onkel, Sie haben mich ja auch vorher einmal besucht. Warum geben Sie es jetzt als Grund an, weshalb Sie mich jetzt nicht besuchen?«
»Guten Abend!« wiederholte Scrooge.
»Ich brauche ja nichts von Ihnen, ich begehre nichts von Ihnen, warum können wir da nicht gute Freunde sein?«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so verhärtet zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Ich habe es diesmal versucht, Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt bewahren. Also: Fröhliche Weihnachten, Onkel!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Und ein glückliches Neujahr!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
Trotzdem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er noch stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Clerk zu grüßen, der, so sehr ihn fror, doch noch wärmer als Scrooge war, denn er gab den Gruß freundlich zurück.
»Das ist auch so ein Narr«, brummte Scrooge, der es hörte. »Mein Clerk mit fünfzehn Schilling die Woche und Frau und Kindern und spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich könnt' mich ins Narrenhaus zurückziehen.«
Der Diener hatte, während er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige Herren, stattlichen Formats, die jetzt, den Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hielten Bücher und Papiere in der Hand und verneigten sich.
»Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre«, sagte einer der Herren und blickte auf seine Liste. »Hab' ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?«
»Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot«, erwiderte Scrooge. »Er starb heute vor sieben Jahren.«
»Wir zweifeln nicht, daß die Gesinnung seiner Freigebigkeit auch bei seinem Kompagnon vorhanden sein wird«, sagte der Herr, indem er seine Vollmacht hinreichte.
Er hatte auch ganz recht, denn es waren zwei verwandte Seelen gewesen. Bei dem bedeutungsvollen Wort Freigebigkeit erschauerte Scrooge und gab kopfschüttelnd das Papier zurück.
»In dieser feierlichen Jahreszeit, Mr. Scrooge«, sagte der Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als gewöhnlich wünschenswert, einigermaßen wenigstens für die Armut zu sorgen, die gerade jetzt in großer Bedrängnis ist. Viele Tausende haben nicht das Lebensnotwendige, Hunderttausenden fehlen die notdürftigsten Bequemlichkeiten des Lebens.«
»Gibt es denn keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.
»Überfluß an Gefängnissen«, sagte der Herr, die Feder wieder hinlegend.
»Und die Armenarbeitshäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen sie denn nicht mehr?«
»Allerdings. Freilich«, antwortete der Herr, »wünschte ich, sie bestünden überhaupt nicht.«
»Tretmühle und Armengesetz sind also noch in voller Kraft«, meinte Scrooge.
»Beide haben alle Hände voll zu tun.«
»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, ihr nützliches Bestehen sei gefährdet«, sagte Scrooge. »Ich freue mich, das zu hören«.
»In der Meinung, daß sie doch wohl kaum christlichen Frohsinn und Behagen den Armen für Leib und Seele bereiten«, antwortete der Herr, »haben sich einige von uns zwecks einer Sammlung zusammengefunden, um für die Armen Speise und Trank und Feuerung anzuschaffen. Wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, wo der Mangel am bittersten gefühlt wird und der Reichtum in Freuden schwimmt. Wieviel darf ich für Sie zeichnen?«
»Nichts«, antwortete Scrooge.
»Sie wünschen also ungenannt zu bleiben?«
»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe lasse«, sagte Scrooge. »Da Sie mich nach meinem Wunsche fragen, meine Herren, so ist dies meine Antwort. Ich gönne mir auch zu Weihnachten keine Freude und kann nicht dem faulen Volk lustige Tage machen. Ich zahle meinen Beitrag zu den genannten Anstalten. Sie kosten genug, und wem es schlecht geht, der mag sich dorthin begeben!«
»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher lieber sterben.«
»Wenn sie eher lieber sterben würden«, sagte Scrooge, »so wäre es gut, wenn sie das ausführten und die überflüssige Bevölkerung verminderten. Übrigens, Sie werden mich entschuldigen, verstehe ich nichts davon.«
»Aber Sie könnten es verstehen«, bemerkte der Herr.
»Es geht mich nichts an«, antwortete Scrooge. »Es genügt, wenn ein Mann sein eigenes Geschäft begreift und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«
Da sie einsahen, daß weitere Versuche vergeblich sein würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge machte sich wieder mit noch besserer Meinung von sich selbst und in einer angenehmeren Laune als gewöhnlich an die Arbeit.
Währenddem hatten Nebel und Dunkelheit so zugenommen, daß Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen voranzuleuchten. Der Kirchturm, dessen brummende Glocke aus einem alten gotischen Fenster in der Mauer gar pfiffig auf Scrooge herniederblickte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und Viertel in den Wolken mit einem zitternden Nachklingen, als ob ihr in ihrem erfrorenen Haupte droben die Zähne klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der Ecke des Hofes wurden Gasröhren ausgebessert, und die Arbeiter hatten in einer Kohlenpfanne ein großes Feuer angezündet, um das sich einige zerlumpte Männer und Knaben drängten, die sich die Hände wärmten und mit den Augen vor der behaglichen Flamme blinzelten. Aus den Wasserpumpen, die eben verlassen waren, floß noch etwas Wasser nach; aber bald war es zu menschenfeindlichem Eis erstarrt. Der Schimmer der Läden, in denen Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme der Fenster farbenfreudig leuchteten, überzog die bleichen Gesichter der Vorübergehenden. Die Läden der Geflügel- und Materialwarenhändler wurden eine glänzende Quelle der Freude, mit der es fast unmöglich schien, den Gedanken von einer so ernsten Sache wie Kauf und Verkauf zu verbinden. Der Oberbürgermeister gab im Festsaal des Mansion-House seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Oberbürgermeisters würdig ist, und selbst der arme Flickschneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und öffentlich ausgesprochener blutdürstiger Gesinnung mit fünf Schilling bestraft hatte, rührte den Weihnachtspudding in seinem Dachkämmerchen an, während seine abgehärmte Frau mit dem Säugling auf dem Arm ausging, um den Rinderbraten zu kaufen.
Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, beißend, schneidend kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan (Der kleine Dunstan, Erzbischof von Canterbury (925–988), berühmt als Gelehrter und Klosterreformator im Sinne der Benediktiner). des Teufels Nase nur mit einem Hauche von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt seine sonst übliche Waffe zu brauchen, dann würde er erst recht gebrüllt haben. Der Inhaber einer kleinen, jungen Stupsnase, benagt und angeknabbert von der hungrigen Kälte, wie Knochen von Hunden benagt werden, legte sich vor Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen. Aber bei dem ersten Tone des Liedes:
>»Gott grüß euch, froher Gentleman, Mög nichts euch ärgern heut!«
ergriff Scrooge das Lineal mit solcher Kraft, daß der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und der noch eindringlicheren Kälte überließ.
Endlich kam die Stunde des Geschäftsschlusses. Mürrisch stieg Scrooge von seinem Sessel und gab dem harrenden Clerk in dem Verließ stillschweigend die Erlaubnis, zu gehen, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.
»Sie wollen, wie ich vermute, den ganzen Tag morgen haben«, sagte Scrooge.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir,«
»Es paßt mir nicht«, sagte Scrooge, »und es ist nicht schicklich. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abrechnete, würden Sie denken, es widerfahre Ihnen Unrecht, nicht?«
Der Diener lächelte verzagt.
»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht daran, daß mir Unrecht geschieht wenn ich einen Tag Lohn für einen Tag ohne Arbeit bezahle.«
Der Diener bemerkte, daß es nur einmal im Jahr vorkäme.
»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten Dezember einem den Geldbeutel zu bestehlen«, sagte Scrooge, indem er seinen Mantel bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich vermute, Sie müssen durchaus den ganzen Tag frei haben. Seien Sie dafür übermorgen um so früher hier.«
Der Diener versprach, daß er kommen wolle, und Scrooge ging knurrend fort. Das Kontor war im Augenblick geschlossen. Der Clerk, dem die langen Enden seines weißen Schals über die Brust herabhingen (denn er konnte sich keines Mantels rühmen), schlitterte zu Ehren des Festes als der Letzte hinter einer Reihe von Knaben, die beim Eisvergnügen war, Cornhill hinunter und lief dann so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden-Town, um dort Blindekuh zu spielen.
Scrooge nahm sein melancholisches Mahl in seinem gewöhnlichen melancholischen Gasthause ein; und nachdem er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Abrechnungsjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause, um zu Bett zu gehen. Er wohnte in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine trübe Reihe von Zimmern in einem düstern, finstern Gebäude eines Hinterhofes, wo dieses so wenig an seinem Platz stand, daß man fast hätte glauben können, es habe sich dorthin verlaufen und sich nicht wieder herausfinden können, als es noch ein junges Haus war und mit andern Häusern Verstecken spielte. Es war jetzt alt und trist genug; denn niemand wohnte dort, außer Scrooge, da die andern Räume alle als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, daß selbst Scrooge, der jeden Stein darin kannte, seinen Weg mit den Händen ertasten mußte. Der Nebel und der Frost hingen so dick und schwer über dem schwarzen alten Torweg des Hauses, als ob der Dämon dieses Wetters in bekümmertem Grübeln auf der Schwelle säße. Nun ist es eine Tatsache, daß an dem Türklopfer ganz und gar nichts Besonderes war, abgesehen von seiner Größe. Auch ist es Tatsache, daß Scrooge ihn abends und morgens, seitdem er das Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge von dem, was man mit Phantasie bezeichnet, so wenig besaß wie sonst jemand in der City von London, eingerechnet – wenn es erlaubt ist, das zu sagen, – den Stadtrat, die Aldermen und die Zünfte. Man muß auch darauf hinweisen, daß Scrooge, außer heute nachmittag, mit keinem Wörtchen an seinen seit sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht hatte. Und nun möge mir jemand, wenn er es kann, erklären, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne daß sich dieser verändert hatte, keinen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht erblickte.
Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht in so undurchdringliches Dunkel gehüllt, wie die andern Gegenstände im Hofe, sondern von einem unheimlichen Leuchten umgeben, wie ein verfaulter Hummer in einem dunklen Keller. Das Gesicht war nicht böse oder zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstische Brille auf die gespenstische Stirn hinaufgerückt. Das Haar starrte seltsam in die Höhe, wie von Wind oder heißer Luft gehoben; und obgleich die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne alles Leben. Dies und die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich; aber seine Schrecklichkeit schien mehr in etwas anderem zu liegen und außerhalb seiner Macht als ein Teil seines Ausdrucks.
Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, war es wieder ein Türklopfer.
Zu sagen, er wäre nicht erschrocken, oder sein Blut hätte nicht ein Gruseln empfunden, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war, wäre eine Unwahrheit. Aber er nahm sich mit Gewalt zusammen, legte die Hand wieder an den Schlüssel, drehte ihn um, trat ein und zündete seine Kerze an.
Allerdings zögerte er einen Augenblick, ehe er die Tür schloß, und starrte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, durch den Anblick von Marleys Kopf erschreckt zu werden. Aber hinter der Tür war nichts als die Schrauben, die den Klopfer festhielten; und so sagte Scrooge: »Ach was!« und warf sie zu.
Der Knall erscholl durch das Haus wie ein Donner. Jedes Zimmer im Obergeschoß, und jedes Faß in des Weinhändlers Keller drunten schien mit seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos ins Bockshorn jagen ließ. Er schloß die Tür zu, ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam und das Licht aufputzend, während er hinaufstieg. Man kann ungefähr veranschlagen, daß sich eine sechsspännige Equipage über eine Treppe aus der guten alten Zeit oder auch durch ein schlechtes neues Reichsgesetz kutschieren ließ; und ich möchte behaupten, man hätte über die Treppe bei Scrooge einen Totenwagen hinauftransportieren können; und zwar selbst der Breite nach, mit der Deichsel gegen die Wand und mit der Totenwagentür gegen das Geländer. Und das wäre leicht getan gewesen. Dafür wäre Raum übergenug vorhanden gewesen, und das war vielleicht der Grund, warum Scrooge wähnte, er sähe vor sich geradezu eine Totenwagen-Lokomotive im Dunkel sich hinaufbewegen. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang sonderlich hell gemacht, und so kann man sich denken, daß es bei Scrooges Funzel ziemlich dunkel blieb.
Scrooge aber ging hinauf und scherte sich keinen Pfifferling darum. Dunkelheit ist billig, und das hatte Scrooge gern. Aber ehe er seine schwere Tür zumachte, ging er doch durch die Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichtes noch zu nachdrücklich, als daß er nicht dieses Bedürfnis gehabt hätte.
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit, und das kleine Töpfchen Suppe (Scrooge war erkältet) an dem Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand in dem Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der in ganz verdächtiger Art an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Feuerhaken.
Vollkommen zufrieden, machte er die Tür zu, schloß sich ein und riegelte noch zu, was sonst seine Gewohnheit nicht war. So gegen Überraschung gesichert, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock und die Pantoffel an, setzte die Nachtmütze auf und setzte sich vor das Feuer, um seine Suppe zu löffeln.
Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, so gut wie gar keins in einer so bitterkalten Nacht. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber beugen, um das geringste Wärmegefühl von einer solchen Handvoll Kohlen zu genießen. Der Kamin war vor vielen Jahren von einem holländischen Kaufmann errichtet worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen belegt, die bestimmt waren, die Heilige Schrift zu illustrieren. Da sah man Kain und Abel, Pharaos Töchter, Königinnen von Saba, Engel durch die Luft auf den Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Marktschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen; und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese blank und vermögend gewesen wäre, aus den zerstreuten Fragmenten von Scrooges Gedanken ein Bild auf seine Fläche zu zaubern, auf jedem wäre ein Abbild von des alten Marleys Gesicht erschienen.
»Dummes Zeug!« sagte Scrooge und schritt im Zimmer auf und ab.
Nachdem er einigemal hin- und hergegangen war, setzte er sich wieder nieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, blieb sein Blick wie von ungefähr an der Glocke hängen, an einer alten, nicht mehr gebrauchten Glocke, die zu einem jetzt vergessenen Zweck mit einem Zimmer in dem obersten Stockwerk in Verbindung stand. Es befiel ihn großes Erstaunen und ein seltsamer unerklärlicher Schauer, als die Glocke anhub, sich zu bewegen; erst bewegte sie sich so sachte, daß sie kaum einen Ton von sich gab; aber bald läutete sie laut und mit ihr alle Glocken des Hauses.
Dies mochte eine halbe Minute oder eine Minute gedauert haben, aber es schien eine Stunde zu sein. Die Glocken hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Darauf vernahm man ein klirrendes Geräusch, tief unten, als ob jemand eine schwere Kette über die Fässer in des Weinhändlers Keller zerrte. Jetzt erinnerte sich Scrooge, gehört zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen sollten.
Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Krachen auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten; dann wie es die Treppe heraufkam; und dann wie es gerade auf seine Tür zukam.
»Es ist dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich glaube nicht daran.«
Marleys Geist erscheint Scrooge.
Aber er wechselte die Farbe, als es, ohne zu verweilen, durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte das sterbende Feuer auf, als ob es riefe: »Ich kenne ihn, Marleys Geist!« und fiel wieder zusammen.
Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seiner Zopfperücke, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Beinkleidern und hohen Stiefeln, deren Quasten sträubten sich wie sein Zopf und seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die Kette, die er hinter sich herschleppte, war mitten um seinen Körper geschlungen. Sie war lang und wand sich wie ein Schweif und war (denn Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassetten, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Verträgen und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war durchsichtig, so daß Scrooge durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe rückwärts auf seinem Rock sehen konnte.
Scrooge hatte oft behaupten gehört, Marley habe kein Herz im Leibe, aber er hatte es bis jetzt nicht geglaubt.
Nein, er glaubte es auch jetzt nicht einmal. Obwohl er das Gespenst durch und durch vor sich stehen sah; obwohl er den erfrieren machenden Schauer seiner totkalten Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, das um seinen Kopf und sein Kinn gebunden war, und das er früher nicht bemerkt hatte, war er doch noch ungläubig und verwahrte sich gegen die Eindrücke seiner Sinne.
»Nun«, sagte Scrooge, barsch und kalt wie gewöhnlich, »was wollt Ihr?«
»Viel!« Das war Marleys Stimme; kein Zweifel.
»Wer seid Ihr?«
»Fragt mich, wer ich war.«
»Nun, wer waret Ihr denn?« sagte Scrooge lauter. »Ihr seid ein besonderes Exemplar für ein Gespenst.« Er wollte sagen »als Gespenst«; aber er ersetzte das »als« durch »für ein«, um auf alle Fälle sich zu sichern.
»Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jakob Marley.«
»Könnt Ihr auch sitzen?« fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd an.
»Ich kann es.«
»Dann bitte!«
Scrooge stellte die Fragen, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiges Gespenst sich werde setzen können, und fühlte, daß er ihn recht unangenehm hätte zur Rede stellen können, wenn jener dies nicht gekonnt hätte.
»Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.
»Nein«, sagte Scrooge.
»Welchen Beweis wollt Ihr, außer dem Eurer Sinne, von meiner Wirklichkeit haben?«
»Ich weiß nicht«, sagte Scrooge.
»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«
»Weil eine Geringfügigkeit sie stört«, sagte Scrooge. »Eine kleine Störung im Magen macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Senfklecks, eine Käserinde, ein Stückchen schlechter Kartoffel sein. Wer Ihr auch sein mögt, Ihr seid mehr Unterleib, als Unterwelt.«
Es war nicht eben Scrooges Art, Witze zu machen, auch fühlte er jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit war, daß er sich bestrebte, aufgeräumt zu sein, überlegen zu erscheinen, um seine Aufmerksamkeit auf das Gespenst zu verjagen und um sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes machte selbst das Mark in seinen Gebeinen erzittern.
Nur einen Augenblick schweigend diesen starren, erfrorenen Augen gegenüberzusitzen, würde ihn wahnsinnig machen, das empfand Scrooge wohl. Auch war die Tatsache so grauenerregend, daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre hatte. Scrooge fühlte sie zwar nicht selbst, aber doch mußte es der Fall sein. Obwohl nämlich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich seine Haare, seine Rockschöße und seine Stiefelquasten wie von der erhitzten Luft eines Ofens.
»Ihr seht diesen Zahnstocher«, sagte Scrooge und nahm aus dem eben angeführten Grund seine Attacke wieder auf, von dem Wunsch beseelt, wenn auch nur für einen Augenblick den starren, eisigen Blick des Gespenstes von sich abzuwenden.
»Ja«, antwortete der Geist.
»Ihr seht ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.
»Aber ich sehe ihn trotzdem«, erwiderte das Gespenst.
»Gut«, meinte Scrooge. »Ich brauche ihn nur hinunterzuschlucken, und mein ganzes übriges Leben hindurch verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erzeugt habe. Dummes Zeug, sag' ich, dummes Zeug!«
Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen gräßlichen Schrei aus und ließ seine Kette so grauenhaft und fürchterlich klirren, daß Scrooge sich an seinen Stuhl festklammern mußte, um nicht in Ohnmacht zu sinken. Aber wieviel größer ward sein Entsetzen, als das Gespenst die Binde vom Kopf nahm, als wäre es ihm zu warm im Zimmer, und die Unterkinnlade auf die Brust herabsank.
Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.
»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum quälst du mich?«
»Mensch mit der weltlich gesinnten Seele«, erwiderte der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«
»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß es. Aber warum wandeln Geister auf Erden und warum kommen sie zu mir?«
»Von jedem Menschen wird gefordert«, antwortete das Gespenst, »daß der Geist in ihm unter seinen Mitmenschen wandle und ferne, weite Reisen mache. Wenn nun dieser Geist nicht bei Lebzeiten hinausgeht, so ist er verdammt, durch die Welt zu wandern – ach, weh mir! – und anzusehen, was er nicht mehr mitgenießen kann, was er aber auf Erden hätte mitgenießen und zum Guten hätte ausnutzen können.«
Wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus, rüttelte an seinen Ketten und rang die schattenhaften Hände.
»Du bist gefesselt«, sagte Scrooge zitternd. »Sage mir, weshalb?«
»Ich trage die Kette, die ich im Leben geschmiedet habe«, sagte der Geist. »Ich schmiedete sie Glied für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen gürtete ich sie um; und nach meinem eigenen freien Willen muß ich sie nun tragen. Ihre Glieder kommen dir seltsam vor.«
Scrooge zitterte immer heftiger.
»Oder willst du die Schwere und Länge der Kette wissen«, fuhr der Geist fort, »die du selber trägst? Sie war gerade so lang und so schwer wie diese hier vor sieben Weihnachten. Seitdem hast du an ihr weitergearbeitet. Es ist eine schwere Kette.«
Scrooge schaute auf den Boden herab in der Erwartung, sich von fünfzig oder sechzig Klaftern Eisenketten umschlungen zu sehen; aber er gewahrte nichts.
»Jakob«, sagte er bittend, »Jakob Marley, erzähle mir mehr. Sage mir einen Trost, Jakob.«
»Ich habe keinen zu geben«, antwortete der Geist. »Er kommt aus anderen Sphären, Ebenezer Scrooge, und wird von andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch darf ich dir nicht sagen, was ich dir sagen möchte. Nur ein Weniges mehr als das Bisherige ist mir zu sagen erlaubt. Ich kann nicht rasten, ich kann nicht ruhen, ich kann nur etwas versichern. Mein Geist ging nie über unser Kontor hinaus – merk auf – im Leben blieb mein Geist immer in den engen Grenzen unserer Wucherhöhle; und weite Reisen liegen noch vor mir.«
Es war eine Gewohnheit von Scrooge, wenn er nachdenklich wurde, die Hand in die Hosentasche zu stecken. Nachsinnend über das, was der Geist sagte, tat er es auch jetzt, aber ohne seine Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.
»Du mußt dir aber viel Zeit genommen haben, Jakob«, bemerkte er in der Art eines Geschäftsmannes, wenn auch mit vieler Demut und Ehrerbietung.
»Viel Zeit!« sagte der Geist.
»Sieben Jahre tot«, sann Scrooge nach. »Und die ganze Zeit über gewandert.«
»Die ganze Zeit», sagte der Geist. »Kein Bleiben, kein Frieden, nur unaufhörlich die Qual der Reue.«
»Du reisest schnell«, sagte Scrooge.
»Auf den Fittichen des Windes«, sagte der Geist.
»Da mußt du doch eine große Strecke in den sieben Jahren absolviert haben«, sagte Scrooge.
Als der Geist das vernahm, stieß er wieder einen Schrei aus und klirrte so grauenvoll mit seiner Kette in dem Todesschweigen der Nacht, daß ihn der Nachtwächter mit vollem Recht wegen Ruhestörung hätte anzeigen können.
»Oh, gefangen und gefesselt, in doppeltes Eisen gelegt!« rief das Gespenst, »nicht zu wissen, daß Zeitalter von unaufhörlicher Mühe sterblicher Geschöpfe vergehen, ehe das Gute, dessen die Erde fähig ist, sich entfalten kann; nicht zu wissen, daß ein christlicher Geist, und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreis der Liebe wirkt, in diesem Erdenleben sich selbst belohnende Arbeit genug finden kann! Aber ich ahnte es nicht, ach, ahnte es nicht!«
»Aber du warst doch immer ein guter Geschäftsmann, Jakob«, stotterte Scrooge zitternd, der jetzt begann, das Schicksal des Geistes auf sich selbst zu übertragen.
»Geschäft!« rief das Gespenst, seine Hände wieder ringend. »Der Mensch war mein Geschäft. Die allgemeine Wohlfahrt war mein Geschäft; Barmherzigkeit, Versöhnlichkeit und Liebe wären alles mein Geschäft gewesen. Der Fleiß in meinem Gewerbe aber war nur ein Tropfen Wasser in dem weiten Ozean meines wahren Geschäfts.«
Er hielt seine Kette weit von sich weg, als ob dies die Ursache seines hoffnungslosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie wieder dröhnend nieder.
»In dieser Zeit des endenden Jahres«, sagte das Gespenst, »leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gesenkten Augen durch das Gedränge meiner Mitmenschen und hob meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es nicht arme Heime genug, wohin mich sein Licht hätte führen können?«
Scrooge war außer sich, das Gespenst so reden zu hören, und begann heftig zu zittern.
»Höre mich«, rief der Geist. »Meine Zeit ist beinahe vorüber.«
»Ich will hören«, sagte Scrooge. »Aber verfahre glimpflich mit mir! Sei nicht zu hart, Jakob, ich bitte dich.«
»Wie es möglich ist, daß ich in einer dir wahrnehmbaren Gestalt vor dich treten kann, weiß ich nicht. So manchen, manchen Tag habe ich unsichtbar neben dir gesessen.«
Das war keine angenehme Vorstellung. Scrooge schauderte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Es ist kein leichter Teil meiner Buße«, fuhr der Geist fort. »Heute nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen, weil für dich noch eine Aussicht und Hoffnung besteht, meinem Schicksal zu entgehen. Eine Aussicht und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.«
»Du bist immer ein guter Freund zu mir gewesen«, sagte Scrooge. »Ich danke dir.«
»Du wirst besucht werden«, fuhr das Gespenst fort, »von drei Geistern.« Bei diesen Worten wurde Scrooges Blick noch länger als der des Gespenstes.
»Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du erwähnt hast, Jakob?« fragte er mit bebender Stimme.
»Ja.«
»Ich – ich sollte meinen, das wäre aber gerade keine Hoffnung«, sagte Scrooge.
»Ohne ihr Kommen«, entgegnete der Geist, »kannst du nicht hoffen, den Pfad zu vermeiden, den ich durchwandern muß. Erwarte den ersten am Morgen, wenn die Glocke eins schlägt.«
»Könnte ich sie nicht alle auf einmal über mich ergehen lassen?« fragte Scrooge.
»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe Stunde. Den dritten in der folgenden Nacht, wenn der letzte Schlag zwölf verklungen ist. Sieh mich an, denn du erblickst mich nicht wieder; und sieh mich an, daß du dich um deiner Rettung willen an das erinnerst, was zwischen uns geschehen ist.«
Als es diese Worte gesprochen hatte, hob sich das Gespenst das Tuch vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge bemerkte dies durch das Knirschen der Zähne, als die Kiefern zusammenklappten. Er wagte es, die Augen aufzuheben, und sah seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen, die Augen noch starr auf ihn geheftet, und die Kette um den Leib und den Arm gewunden.
Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsschreitend; und bei jedem Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, so daß es weit offen stand, als das Gespenst bei ihm ankam. Es winkte Scrooge, näherzukommen, was dieser befolgte. Als sie noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand empor und bedeutete ihm, daß er nicht näherkomme. Scrooge stand still.
Er tat dies minder aus Gehorsam als aus Überraschung und Furcht; denn als sich die gespenstische Hand erhob, hörte er wirre Klänge durch die Luft schwirren und zusammenhanglose Töne des Klagens und des Schmerzes unsagbar und reuig. Das Gespenst horchte ihnen eine Weile zu und stimmte darauf in das Klagelied ein. Dann schwebte es in die dunkle Nacht hinaus.
Scrooge trat an das Fenster, von Neugierde bis zur Verzweiflung getrieben. Er blickte hinaus.
Die Luft war mit Schemen angefüllt, die in ruheloser Hast klagend hin und wider schwebten. Jeder trug eine Kette, wie Marleys Geist. Einige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich schuldige Minister), keines war ganz ohne Fesseln. Viele waren Scrooge während ihres Lebens bekannt gewesen. Ganz genau hatte er ein altes Gespenst in einer weißen Weste gekannt, das einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter sich herschleppte und jämmerlich schrie, weil er einem armen, alten Weibe mit einem Kinde nicht helfen konnte, das unten auf einer Türschwelle kauerte. Man sah es deutlich, ihre Pein bestand darin, sich umsonst danach zu sehnen, menschliche Not zu lindern, und die Macht dazu für immer verloren zu haben.
Ob diese Geschöpfe in dem Nebel zergingen oder ob der Nebel sie verhüllte, konnte Scrooge nicht sagen. Aber sie und ihre Geisterstimmen vergingen zu gleicher Zeit, und die Nacht wurde wieder so, wie sie war, als er nach Hause ging.
Scrooge schloß das Fenster und prüfte die Tür, durch die das Gespenst hereingekommen war. Sie war noch verschlossen und verriegelt wie vorher. Er versuchte zu sagen: Unsinn, stockte aber bei der ersten Silbe. Da er von der Erregung oder von den Anstrengungen des Tages oder von seiner Schau in die unsichtbare Welt oder der bedrückenden Unterhaltung mit dem Gespenst oder der späten Stunde sehr erschöpft war, ging er sogleich zu Bett, ohne sich auszuziehen, und sank bald in Schlaf.


Zweites Kapitel.
Der erste der drei Geister.


Als Scrooge erwachte, war es so finster, daß er kaum das das Außenlicht hindurchlassende Fenster von den Wänden seines Zimmers unterscheiden konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Luchsaugen zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der Nachbarschaft zu läuten begann. Er horchte auf die Zeit der Stunde. Zu seinem großen Erstaunen ging der Schlag der Glocke von sechs zu sieben, und von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann stoppte sie.
Zwölf! Es war nach zwei Uhr gewesen, als er sich zu Bett gelegt hatte. Die Uhr ging wohl falsch. Ein Eiszapfen mußte in das Werk geraten sein. Zwölf!
Er drückte auf die Feder seiner Repetieruhr, um die irre Glocke in Ordnung zu bringen. Ihr kleiner schneller Puls schlug zwölf und schwieg.
»Was! es ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge, »daß ich den ganzen Tag und bis in die andere Nacht geschlafen haben sollte? Es ist doch nicht möglich, daß der Sonne etwas zugestoßen ist und daß es mittags zwölf Uhr ist.«
Die Vorstellung alarmierte ihn. Er stieg aus dem Bett und tappte ans Fenster. Er mußte das Eis erst wegschaben und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes abwischen, ehe er etwas sehen konnte. Aber auch danach konnte er nur wenig sehen. Alles, was er wahrnehmen konnte, war, daß es noch sehr neblig und sehr kalt war, und daß man nicht das Lärmen hin und her eilender Leute hörte, das doch gewiß vorhanden gewesen wäre, wenn die Nacht den lichten Tag vertrieben und die Welt beschlagnahmt hätte. Das war ein großer Trost, weil »drei Tage nach Sicht begleichen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer Scrooge oder dessen Order usw.« lediglich Vereinigte Staaten-Sicherheit gewesen wäre, wenn keine Tage mehr zu zählen waren. (Anspielung auf die in jener Zeit, da Dickens dieses Werk schrieb, nicht sonderlich glückliche finanzielle Lage der Vereinigten Staaten von Amerika.)
Scrooge legte sich wieder nieder und dachte nach, konnte aber zu keinem Resultat kommen. Je mehr er nachdachte, desto wirrer wurde er; und je mehr er sich bestrebte, nicht nachzudenken, desto mehr dachte er nach. Marleys Geist beunruhigte ihn viel. Jedesmal, wenn er nach reiflicher Überlegung zu der festen Überzeugung gelangt war, daß alles nur ein Traum gewesen, schnellte sein Geist wie eine starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück und wiederholte ihm die Frage, die er schon zehnmal durchgrübelt hatte: War es ein Traum oder nicht?
Scrooge lag in diesem Zustande, bis es drei Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm eine Erscheinung mit Schlag eins versprochen hatte. So nahm er sich vor, wachzubleiben, bis die Stunde vorüber sei; und wenn man bedenkt, daß er ebensowenig einschlafen wie in den Himmel eingehen konnte, war dies wahrscheinlich der klügste Entschluß, den er zu fassen vermochte.
Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal dünkte, er müßte unversehens in Schlaf gesunken sein und die Uhr überhört haben. Schließlich vernahm sein lauschendes Ohr die Glocke.
»Ding, dong!«
»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.
»Ding, dong!«
»Halb«, sagte Scrooge.
»Ding, dong!«
»Drei Viertel«, sagte Scrooge,
»Ding, dong!«
»Voll!« rief Scrooge freudig, »und nichts weiter!«
Er sprach's, bevor die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit einem tiefen, dunklen, hohlen, melancholischen Eins tat.
Licht ergoß sich augenblicklich in den Raum, und die Vorhänge seines Bettes wurden aufgezogen.
Die Vorhänge seines Bettes wurden, ich sage es euch, von einer Hand fortgezogen, nicht die Vorhänge vor seinen Füßen, nicht die Vorhänge hinter seinem Rücken, sondern die Vorhänge, nach denen sich sein Gesicht wandte, wurden fortgezogen; und Scrooge blickte, sich zu einer halb liegenden Stellung aufrichtend, dem unirdischen Besucher, der sie geöffnet hatte, ins Antlitz. So dicht stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geiste neben euch stehe.
Es war eine merkwürdige Gestalt, gleich einem Kinde; aber doch eigentlich nicht gleich einem Kinde, sondern eher wie ein alter Mann, der durch ein wunderbares Medium gesehen ward, und so zu den Größenverhältnissen eines Kindes vermindert war. Sein Haar, das in langen Locken über seine Schultern wallte, war weiß, wie vom Alter. Aber das Gesicht hatte keine einzige Falte, und um das Kinn bemerkte man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und kräftig; ebenso die Hände, als ruhe eine ungeheure Kraft in ihnen. Seine zart und fein geformten Füße waren wie die Arme bloß. Der Geist trug eine Tunika vom reinsten Weiß, und um seinen Körper schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Schimmer. Er hielt einen frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand. Aber in seltsamem Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war sein Gewand mit Sommerblumen geschmückt. Das Wunderbarste aber war, daß aus der Krone auf seinem Haupte ein heller Lichtstrahl emporschoß, der alles rings erhellte, und der gewiß der Grund war, daß der Geist in weniger guter Stimmung einen großen Lichtauslöscher, den er jetzt unter dem Arme trug, als Kappe aufstülpte.
Aber eben das war noch nicht seine sonderbarste Eigenschaft. Denn wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen war, dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt selbst auf unerklärliche Art. Bald war es ein Wesen mit einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald mit nur zwei Füßen ohne Kopf, bald ein Kopf ohne Körper. Wenn einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn umfing. Und das größte Wunder dabei war, daß die Gestalt immer die gleiche blieb.
»Seid Ihr der Geist, dessen Erscheinung mir verkündet wurde?« fragte Scrooge.
»Ich bin es.«
Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als erklinge sie nicht dicht neben ihm, sondern aus einiger Ferne.
»Wer und was seid Ihr?« forschte Scrooge.
»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnachten.«
»Der lange vergangenen?« fragte Scrooge, die zwerghafte Gestalt in Rechnung ziehend.
»Nein, deiner vergangenen.«
Vielleicht hätte Scrooge nicht sagen können, warum, wenn ihn jemand gefragt hätte; aber er hegte den besonderen Wunsch, den Geist in seiner Kappe zu sehen; und er bat ihn, sich zu bedecken.
»Was?« rief der Geist, »willst du so bald mit unfrommer Hand das Licht, das ich schenke, auslöschen? Ist es nicht genug, daß du einer von jenen bist, deren Leidenschaften diese Kappe hervorgebracht haben, und die mich zwingen, sie oft auf Jahre tief ins Gesicht zu ziehen?«
Scrooge widerrief demütig jede Absicht, daß er ihn habe etwa beleidigen wollen. Er versicherte hoch und teuer, nicht zu wissen, daß er je im Leben dem Geiste Ursache gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so kühn zu fragen, welche Angelegenheit ihn hierher führe.
»Dein Heil!« sagte der Geist.
Scrooge versicherte ihm sehr seinen Dank, konnte sich aber nicht helfen als in den Gedanken, daß eine ungestörte Nachtruhe ihm mehr genützt haben würde. Der Geist mußte seine Gedanken durchschaut haben; denn er sagte alsbald: »Deine Besserung also. Nimm dich in acht!«
Er streckte bei diesen Worten seine starke Hand und ergriff sanft seinen Arm.
»Steh auf und komm mit!«
Umsonst würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und Stunde seien zum Spazierengehen nicht sonderlich geeignet; das Bett sei warm und das Thermometer stände beträchtlich unter Null; er habe nur Pantoffel, Schlafrock und Nachtmütze und leide überdies an Schnupfen. Dem Griffe, wie von Frauenhand, war nicht zu widerstehen. Scrooge erhob sich; aber als er sah, daß der Geist dem Fenster zuschwebte, faßte er ihn flehend beim Gewande.
»Ich bin sterblich«, sagte Scrooge, »und würde stürzen, möchte ich noch so behutsam sein.«
»Laß dich nur von meiner Hand berühren«, sagte der Geist, indem er ihm die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren überstehen, als eine solche.«
Als er diese Worte gesprochen hatte, verschwanden sie beide durch die Wände und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße, rings von Fluren umgeben. Die Stadt war ganz versunken. Keine Spur war mehr davon übrig. Die Finsternis und der Nebel waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter Wintertag, und der Boden von weißem, reinem Schnee bedeckt.
»Guter Himmel!« rief Scrooge, die Hände faltend, als er um sich blickte, »hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.«
Der Geist sah ihn mit lindem Blicke an. Seine sanfte Berührung, obwohl sie nur leise und kurz gewesen war, klang immer noch in dem Herzen des alten Mannes nach. Er war sich tausenderlei Düfte in der Luft bewußt, deren ein jeder einzelne mit tausend Gedanken, Hoffnungen, Freuden und Sorgen verbunden war, die lange vergessen waren.
»Deine Lippe zittert«, sagte der Geist. »Und was ist denn das hier auf deiner Wange?«
Scrooge stammelte mit einem ungewöhnlichen Stocken in der Stimme, es sei ein Bläschen, und bat den Geist, ihn zu geleiten, wohin er wolle.
»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.
»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit Feuer, »ich könnte ihn mit verbundenen Augen finden.«
»Merkwürdig, daß du ihn so viele Jahre lang vergessen hast«, sagte der Geist. »Komm!«
Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Gatter, jeden Pfosten, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem sich windenden Fluß erschien. Nun erblickten sie einige zottige Ponies auf sich zutraben, mit Jungens auf ihren Rücken, die wieder anderen Jungens in ländlichen Wagen und Gefährten, getrieben von Farmern, laut zuriefen. Alle diese Jungens waren sehr vergnügt und laut, bis die weiten Felder so voll heiterer Musik waren, daß die kalte, sonnige Luft selbst mitzulachen schien.
»Dies sind bloß Schatten der Wesen, die gewesen sind«, sagte der Geist, »sie wissen nichts von uns.«
Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und jetzt erkannte Scrooge sie alle und konnte sie alle bei Namen nennen. Wie war er erfreut über alle Begriffe, sie zu sehen! Wie leuchtete sein trockenkaltes Auge feucht auf! Wie jubelte sein Herz, als sie vorübereilten. Wie ward er von Frohsinn erfüllt, als sie an den Kreuzwegen voneinander schieden und sich fröhliche Weihnachten wünschten? Was waren fröhliche Weihnachten für Scrooge?
Zum Kuckuck mit fröhlichen Weihnachten! Was hatte er schon Gutes davon gehabt?
»Die Schule ist noch nicht ganz verlassen«, sagte der Geist. »Ein einsames Kind, von seinen Freunden verlassen, sitzt noch einsam dort.«
Scrooge sagte, er wisse es. Und er weinte.
Sie verließen jetzt die Chaussee auf einem wohlbekannten Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten Ziegeln, mit einer kleinen Kuppel auf dem Dache und darin eine Glocke. Es war ein großes Haus, aber jetzt nur Zeuge verflossenen Reichtums, denn die geräumigen Gemächer waren wenig benutzt, die Wände feucht und modrig, die Fenster zerbrochen, die Gitter zerfallen. Hühner gackerten und scharrten in den Ställen; und die Schuppen und Tennen waren mit Gras überwachsen. Auch im Innern war nichts von seinem alten Glanz übriggeblieben; denn als sie in den verödeten Hausflur traten und durch die offenen Türen in die vielen Zimmer blickten, gewahrten sie nur ärmlich ausgestattete, kalte, öde Räume. Ein modriger Geruch erfüllte die Luft, eine frostige Unfreundlichkeit schien über dem Ort zu lagern, der an Frühaufstehen bei Kerzenlicht und an Schmalhans als Küchenmeister erinnerte.
Sie schritten, der Geist und Scrooge, über den modrigen Hausflur zu einer Tür in der Rückfront des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte ihnen einen langen, kahlen, trostlosen Saal, noch kahler und trostloser gemacht durch die Reihen von einfachen hölzernen Bänken.
Auf einer der Bänke saß ein einsamer Knabe neben einem schwachen Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und weinte, sein eigenes, vergessenes Ebenbild, wie es in früheren Jahren war, wiederzusehen.
Kein schwaches Echo in dem Hause, kein Rascheln der Mäuse hinter der Täfelung, kein Getröpfel der halbgefrorenen Wasserröhre in dem Hofe rückwärts, kein Seufzer in den blattlosen Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Klappen der vom Winde hin und her bewegten Tür der leeren Vorratsräume, selbst nicht das Knistern des Feuers waren für Scrooge verloren. Alles traf sein Herz mit rührenden Klängen und löste seine Tränen.
Der Geist berührte seinen Arm und deutete auf sein jüngeres, in ein Buch vertieftes Selbst. Überraschend stand auf einmal ein Mann in fremdartiger Kleidung da, wunderlich und seltsam anzusehen, mit einer Axt im Gürtel, der einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führte.
»Wie! das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es ist der liebe, alte, brave Ali Baba. Ja, ja, ich weiß noch. Einst zu Weihnachten, als jener verlassene Knabe hier ganz allein saß, kam er zum erstenmal, gerade wie jetzt. Der arme Junge! Und Valentin«, fuhr Scrooge fort, »und sein wilder Bruder Orson, da gehen sie. Und wie hieß doch jener, der, während er schlief, vor das Tor von Damaskus gesetzt wurde? Siehst du ihn nicht! Und der Stallmeister des Sultans, der von den Genien auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er! Geschieht ihm recht! Warum mußte er auch die Prinzessin heiraten!«
Scrooge mit allem Ernst und mit einer sonderbaren Stimme zwischen Lachen und Weinen über solche Gegenstände reden zu hören und sein vor Freude erregtes Gesicht zu sehen, wäre für seine Geschäftsfreunde in der City in der Tat eine große Überraschung gewesen.
»Da ist auch der Papagei«, rief Scrooge, »mit grünem Leib und gelbem Schweif, da ist er! Oben auf dem Kopf wächst wie ein Gemüsebüschelchen ein Etwas heraus. ›Robinson Crusoe!‹ rief der Papagei ihm zu, als jener wieder von seiner Umsegelung der Insel nach Hause kam, ›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume; aber es war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag nach der kleinen Landenge, um sein Leben zu retten. Hallo, hopp, hallo!«
Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle, der seinem sonstigen Charakter sehr fremd war: »Der arme Knabe!« und er weinte von neuem.
»Ich wollte«, murmelte Scrooge, die Hand in die Tasche steckend und um sich blickend, nachdem er sich mit dem Rockaufschlag die Augen gerieben hatte, »aber es ist zu spät jetzt.«
»Was willst du?« fragte der Geist.
»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang vor meiner Tür ein Knabe ein Weihnachtslied. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben; das ist alles.«
Der Geist lächelte bedächtig, winkte mit der Hand und sagte dann: »Laß uns ein anderes Weihnachten sehen.«
Scrooges früheres Selbst wuchs bei diesen Worten, und das Zimmer wurde etwas dunkler und verschmutzter. Die Täfelung warf sich, die Fensterscheiben sprangen; Stücke Kalkbewurf fielen von der Decke und das nackte Bretterwerk zeigte sich; aber wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er wußte nur, alles erfolge ganz gehörig, er sei es wieder, der dort allein sitze, während die anderen Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier.
Er las nicht, sondern ging in Verzweiflung und Düsternis im Zimmer auf und ab. Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln ängstlich nach der Tür.
Sie ging auf, und ein kleines Mädchen, viel jünger als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Nacken, küßte ihn und begrüßte ihn als ihren »lieben, lieben Bruder.«
»Ich komme, um dich nach Hause zu holen, lieber Bruder!« sagte das Kind, fröhlich in die Hände klatschend. »Dich nach Hause zu holen, nach Hause!«
»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.
»Gewiß!« antwortete die Kleine, in überströmender Fröhlichkeit. »Nach Hause und für immer. Der Vater ist soviel freundlicher als sonst, daß es bei uns wie im Himmel zugeht. Er sprach eines Abends, als ich zu Bett ging, so freundlich mit mir, daß ich mir den Mut nahm und ihn noch einmal fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest. Er sagte ja und sendet mich im Wagen her, um dich zu holen. Und du sollst jetzt dein eigner Herr sein«, sagte das Kind, und blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher zurückreisen. Aber erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und die fröhlichste Feier in der ganzen Welt haben.«
»Du bist ja eine richtige Dame geworden, kleine Fanny!« rief der Knabe aus.
Sie klatschte in die Hände, lachte und versuchte, bis an seinen Kopf zu reichen; aber da sie zu klein war, lachte sie wieder und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher Ungeduld nach der Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.
Eine schreckliche Stimme in dem Hausflur rief: »Bringt Master Scrooges Koffer herunter!« Und in dem Hausflur erschien der Schullehrer selbst, der Master Scrooge mit erschreckender Herablassung musterte und ihn in große Angst versetzte, als er ihm die Hand drückte. Dann geleitete er ihn und seine Schwester in das Innere eines unfreundlichen, feuchtkalten Sprechzimmers, wo die Landkarten an den Wänden und in den Fenstern vor Kälte glänzten. Hier brachte er einen Krug merkwürdig leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei und bewirtete das Jungvolk schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen. Zugleich schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Post-Boy ein Schlückchen anzubieten, wofür dieser aber mit der Bemerkung dankte, wenn es von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht davon probieren. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf dem Wagen befestigt worden, und die Kinder nahmen ohne Bedauern von dem Schulmeister Abschied, setzten sich in die Kutsche und fuhren so schnell zum Garten hinaus, daß der Reif und der Schnee von den dunklen Blättern des Immergrüns wie Puder stoben.
»Sie war immer ein zartes Wesen, das ein Hauch hätte vernichten können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein liebreiches Herz.«
»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen, Geist. Gott behüte! nein.«
»Sie starb verheiratet«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube ich.«
»Eines nur«, antwortete Scrooge.
»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«
Scrooge schien unruhig in seinem Gemüt zu werden und er antwortete kurz: »Ja«.
Obgleich sie die Schule nur einen Augenblick hinter sich gelassen hatten, befanden sie sich doch jetzt mitten in den lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger hin und her eilten, wo gespenstische Wagen und Kutschen um den Weg kämpften, und wo alles Gedränge und aller Lärm einer wirklichen Stadt war. An dem Schmuck der Läden erkannte man deutlich, daß auch hier Weihnachten sei; aber es war Abend, und die Straßenlaternen waren angezündet.
Der Geist blieb vor einer Geschäftstür stehen und fragte Scrooge, ob er sie kenne.
»Ob ich sie kenne?« meinte Scrooge. »Habe ich hier nicht gelernt?«
Sie gingen hinein. Beim Anblick eines alten Herrn mit einer französischen Perücke, der hinter einem so hochragendem Pulte saß, daß er mit dem Kopfe hätte an die Decke stoßen müssen, wenn er zwei Zoll größer gewesen wäre, rief Scrooge in großer Munterkeit: »Ach, das ist ja der alte Fezziwig; bei Gott, es ist Fezziwig, wie er leibt und lebt!«
Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah nach der Uhr, deren Zeiger auf Sieben wies. Er rieb die Hände, zog seine umfangreiche Weste in Ordnung, lachte über und über, von den Fußspitzen zur wohlwollend klingenden Kehle, und rief mit einer komfortablen, voll und doch mild tönenden, heiteren Stimme: »Heissa dort! Ebenezer! Dick!«
Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat dienstbeflissen herein, begleitet von seinem Mitlehrling.
»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem Geist. »Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr verbunden, der Dick. Der arme Dick! Gott, Gott!«
»Heissa, Burschen«, sagte Fezziwig. »Feierabend heute. Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Schluß machen«, rief der alte Fezziwig, munter die Hände zusammenklatschend, »ehe einer sagen kann: Jack Robinson.«
Schluß machen! Man hätte nicht glauben sollen, wie frisch die beiden Jungen Schluß machten. In einer Minute war's geschehen. Sie liefen mit den Fensterladen hinaus – eins, zwei drei – hatten sie sie eingehängt – vier, fünf, sechs – sie zugezogen und verriegelt – sieben, acht, neun – und kamen zurück, ehe man bis zwölf zählen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.
»Heissa hallo!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer Behendigkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend, »räumt die Bude leer, Jungens, und schafft Platz! Hussaho, Dick! Hallo Ebenezer!«
Aufräumen! Sie würden alles weggeräumt haben und konnten alles wegräumen, während Fezziwig zuschaute. Im Handumdrehen war's getan. Alle« was nicht niet- und nagelfest war, wurde in die Ecke geschoben, als wenn es für immer aus dem offiziellen Dasein verabschiedet sei; der Flur wurde gefegt und gesprengt, die Lampen geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet! und der Geschäftsraum war so behaglich und warm und hell, wie ein Ballsaal, wie man ihn sich nur an einem Winterabend wünschen kann.
Jetzt trat ein Geiger mit einem Notenbuch herein und erkletterte Fezziwigs hohen Stuhl, um dort sein Orchester aufzuschlagen, und fiedelte dort für fünfzig. Dann trat Mrs. Fezziwig ein. Dann kamen die drei Misses Fezziwig, freudeglänzend und liebenswürdig. Dann nahten sich die sechs Jünglinge, deren Herzen sie knickten. Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Hause beschäftigt waren. Das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freunde, dem Milchmann. Dann kam der Laufbursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost. Er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhause zu verstecken, der man bewies, sie sei von ihrer Herrschaft ausgescholten worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige verlegen, andere keck, einige mit Geschick, andere blöderer Art, diese zerrend und jene stoßend. Dann ging es los, zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in verschiedenen Kreisen sich drehend; das alte erste Paar blieb immer an der falschen Stelle stehen, das neue erste Paar fuhr immer wieder fort, wenn es stehenbleiben sollte. Schließlich standen alle Paare als erste da und kein einziges mehr als letztes. Als das Resultat erreicht war, klatschte der alte Fezziwig in die Hände, um den Tanz zu beenden, und rief »Bravo!« und der Geiger tauchte sein heißes Gesicht in einen Krug Porter, der besonders zu diesem Zwecke neben ihm stand. Aber kaum war er wieder daraus aufgetaucht, so fing er schon wieder an aufzuspielen, obgleich noch keine Tänzer wieder bereit waren. Es war, als wenn der eine Geiger erschöpft auf einer Bahre heimgetragen worden sei, und er ein ganz frisch importierter sei, entschlossen, ihn auszustechen oder zu vernichten.
Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus (Punsch). und ein großes Stück kaltes Roastbeef, Fleischpasteten und Bier in Überfluß. Aber der Höhepunkt des Abends setzte ein nach dem Rindfleisch, als der Geiger (ein pfiffiger Kopf; er kannte sein Geschäft besser, als du, verehrter Leser, oder ich es ihn hätte lehren können) anhob »Sir Reger de Coverley« zu spielen. Da stellte sich der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar als das erste Paar. Sie hatten allerhand zu leisten, drei- oder vierundzwanzig Paare tanzten mit, Leute, mit denen nicht zu spaßen war, Leute, die tanzen wollten und doch kaum richtig gehen konnten.
Aber wenn es doppelt, ja viermal soviel gewesen wären, hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs. Fezziwig. Was sie betraf, so war sie im vollen Sinne des Wortes würdig, seine Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so nennt mir ein größeres, und ich will es verkünden. Fezziwigs Waden schienen wirklich zu leuchten. Sie glänzten bei jedem Teil des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keinem Augenblick voraussagen können, was aus ihnen im nächsten werden würde. Und als der alte Fezziwig und Mrs. Fezziwig sich in allen Touren des Tanzes produziert hatten: in Vorwärts und Rückwärts, im Hin- und Herschwenken, Kompliment und Verbeugung, Umeinandertanzen, Sich-um-sich-selbst-Drehen, Zurücktanzen zum Standquartier, sprang zum Schluß Fezziwig so herzhaft in die Lüfte, daß er mit den Beinen zu winken schien, und kam dann, ohne zu wanken, wieder auf die Füße.
Als die Glocke elf schlug, war dieser häusliche Ball zu Ende. Mrs. und Mr. Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnacht.
Als alle, außer den zwei Lehrlingen, fort waren, wünschten sie diesen das gleiche. So verging der vergnügliche Lärm, und die Burschen gingen in ihre Betten, die sich unter einem Ladentisch in der hintersten Niederlage befanden.
Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie närrisch gebärdet. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem ehemaligen Selbst. Er erkannte alles wieder, erinnerte sich an alles, freute sich über alles und befand sich in der merkwürdigsten Aufregung. Nicht eher, als bis die fröhlichen Gesichter seines ehemaligen Selbst und Dicks verschwunden waren, fiel es ihm ein, daß der Geist neben ihm stehe und ihn betrachtete, indessen das Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte.
»Eine Bagatelle genügt«, sagte der Geist, »um diese närrischen Leute so dankerfüllt zu machen.«
»Eine Bagatelle«, gab Scrooge zurück.
Der Geist gab ihm ein Zeichen, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die ihr Herz in Lobpreisungen auf Fezziwig erleichterten; und als Scrooge das getan hatte, meinte der Geist: »Nun, ist es nicht so? Er hat nur ein paar Pfund Eures irdischen Geldes hingegeben; vielleicht drei oder vier. Macht das soviel aus, daß er deshalb Lob verdient?«
»Das ist's nicht«, sagte Scrooge, durch diese Bemerkung gereizt, und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend. »Das ist es nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder unglücklich, unsern Dienst zu einer Last oder zu einer Bürde, zu einer Freude oder zu einem dauernden Schmerz zu machen. Du kannst sagen, seine Macht liege in Worten und in Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen. Was schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als ob es sein ganzes Vermögen gekostet hätte.
Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.
»Was ist los?« fragte der Geist.
»Nichts, nichts«, sagte Scrooge.
»Etwas scheint doch nicht in Ordnung zu sein«, drängte der Geist.
»Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte nur schnell ein paar Worte mit meinem Diener sprechen. Um weiteres handelt es sich nicht.«
Sein früheres Selbst löschte die Lampen aus, als er diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist befanden sich wieder im Freien.
»Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnell!«
Diese Aufforderung war nicht an Scrooge oder an jemand, den er sehen konnte, gerichtet; aber es wirkte sofort. Denn wieder sah Scrooge sich selbst. Er war jetzt älter geworden, ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Sein Gesicht hatte nicht die schroffen, rauhen Züge wie später, aber es fing schon an, die Merkmale der Sorge und des Geizes zu tragen. In seinem Auge brannte ein unruhiges, habsüchtiges Feuer, das von der Leidenschaft zeugte, die darin einen Nährboden geschlagen hatte und zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fallen würde.
Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen jungen Mädchen in Trauerkleidung. In ihrem Auge glänzten Tränen, die in dem Lichte schimmerten, das von dem Geist vergangener Weihnachten ausströmte.
»Es hat nichts zu sagen«, versetzte sie sanft. »Für dich gewiß nicht. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt; und wenn es dich in späterer Zeit trösten und aufrechterhalten kann, wie ich es versucht haben würde, so habe ich keine Ursache zu klagen.«
»Welches Götzenbild hätte dich verdrängt?« fragte er.
»Ein goldenes.«
»Das ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist sie so feindlich, wie gegen die Armut; und dennoch verdammt sie nichts mit größerer Strenge, als das Streben nach Reichtum.«
»Du fürchtest das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie freundlich. »Alle deine andern Hoffnungen sind in der einen verschluckt von dem hoffenden Bemühen der Welt, äußerlich keinen Anlaß zum Tadel zu geben. Ich habe deine edleren Regungen eine nach der anderen verschwinden sehen, bis die eine Leidenschaft nach Gold dich ganz erfüllte. Ist es nicht so?«
»Und was weiter«, antwortete er. »Selbst wenn ich soviel klüger geworden bin, was weiter? Gegen dich bin ich doch unverändert.«
Sie schüttelte ihr Haupt.
»Bin ich anders?«
»Unser Verlöbnis ist von ehedem. Es wurde geschlossen, als wir beide arm und bei alledem zufrieden waren, bis wir unser Los durch beharrlichen Fleiß verbessern könnten. Du bist ein anderer geworden. Als wir uns verlobten, warst du ein anderer Mensch.«
»Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.
»Dein eigenes Gefühl sagt dir, daß du nicht so warst, wie du jetzt bist«, antwortete sie. »Ich bin noch immer die gleiche. Das, was uns das Glück versprach, als wir noch eins im Herzen waren, bedeutet uns Kummer und Unglück jetzt, wo wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft und wie bitter ich das gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe, und daß ich dich deiner Verpflichtung entbinden kann.«
»Habe ich meiner Verpflichtung untreu zu werden versucht?«
»In Worten? Nein. Niemals!«
»Worin dann?«
»Durch ein verändertes Wesen, durch eine andere Gesinnung, durch andere Lebenskreise, an die du dich anschlossest, und durch eine andere Hoffnung als auf sein großes menschlich-göttliches Ziel. In allem, was meiner Liebe in deinen Augen einigen Wert gab. Wenn alles Frühere zwischen uns nicht gewesen wäre«, sagte das Mädchen, ihn mit sanftem, aber sicherm Blick ansehend, »sage mir, würdest du mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Ach, nein!«
Er schien die Wahrheit dieser Voraussetzung wider Willen zuzugeben. Aber er versetzte mit Starrsinn: »Du glaubst es also nicht?«
»Ich wäre glücklich, wenn ich könnte«, sagte sie. »Der Himmel weiß es! Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie stark und unwiderstehlich sie sein muß. Aber wenn du heute oder morgen oder gestern frei wärest, soll ich glauben, daß du ein armes Mädchen wählen würdest, du, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn taxierst? Oder soll ich mich betören, daß selbst, wenn du für einen Augenblick deinem einzigen leitenden Grundtrieb untreu werden könntest, du sicher einst Enttäuschung und bitteres Bedauern fühlen würdest? Nein; und deswegen gebe ich dir dein Wort zurück. Aus vollem Herzen, um der Liebe willen zu dem, der du einst warst.«
Es drängte ihn zu sprechen, aber mit abgewandtem Gesicht fuhr sie fort: »Vielleicht – der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast hoffen – wird es dich schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und du wirst dann die Erinnerung daran auslöschen, freudig wie die Gedanken eines unrentablen Traums, von dem zu erwachen es dich beglückte. Mögest du auf dem von dir gewählten Lebensweg glücklich werden!«
Sie verließ ihn, und so trennten sich ihre Wege.
»Geist«, sagte Scrooge, »zeige mir nichts mehr, führe mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«
»Noch ein Schatten«, rief der Geist aus.
»Nein«, bat Scrooge. »Nein! Ich möchte keinen mehr sehen. Zeige mir keinen mehr.«
Aber der unnachsichtige Geist hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang ihn zu betrachten, was jetzt erfolgte.
Sie waren nun an einem andern Ort, in einem Zimmer, das war nicht sehr groß oder schön, aber recht behaglich. Neben dem Kamin saß ein schönes junges Mädchen, so ähnlich jener, die Scrooge zuletzt gesehen hatte, daß er glaubte, es sei dieselbe, bis er sie, jetzt eine freundliche Dame, der Tochter gegenübersitzen sah. Der Lärm in dem Raum war wahrhaft tumultuarisch; denn es waren mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte; und hier führten sich nicht vierzig Kinder wie eins auf, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge davon war ein unbeschreiblicher Lärm. Aber niemand schien sich darum zu kümmern; im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten herzlich und freuten sich darüber. Die letztere, die sich bald in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar arg umwirtschaftet. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obwohl ich niemals so unartig gewesen wäre. Nein, nein! Ich hätte um alle Schätze der Welt diese Locken nicht zerdrückt und zerwühlt; und hätte es gegolten, mein Leben damit zu retten, so hätte ich diese lieben, kleinen Schuhe nicht abgezogen. Im Spiel ihre Taille zu messen, wie das verwegene junge Gemüse es tat, hätte ich nicht gewagt. Ich hätte geglaubt, mein Arm würde zur Strafe krumm und nie wieder gerade werden. Und doch, wie gern, ich gestehe es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern hätte ich sie gefragt, damit sie sich geöffnet hätten. Wie gern hätte ich die Wimpern dieser gesenkten Augen betrachtet, ohne ein Erröten hervorzulocken; wie gern hätte ich dieses wallende Haar gelöst, von dem ein Zoll ein unbezahlbarer Schatz gewesen wäre. Kurz, wie gern hätte ich das kleinste Vorrecht eines Kindes gehabt, dabei aber Mann genug sein mögen, um dessen Wert zu erkennen.
Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür vernehmlich, das einen so allgemeinen Sturm auf sie hin veranlaßte, daß das Mädchen mit lachendem Gesicht und verwirrter Kleidung in der Mitte eines frohen, lärmenden Haufens nach der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam, begleitet von einem Mann, der mit Weihnachtsgeschenken bepackt war. Aber nun das Gejubel und das Gedränge und der Sturm auf den wehrlosen Träger! Wie sie auf Stühlen an ihm emporkletterten, in seine Taschen lugten, die Papierpaketchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, ihm auf den Rücken trommelten und an die Beine stießen – alles in unbändiger Freude! Dann diese Ausrufe der Bewunderung und des Vergnügens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens begrüßt wurde! Der Schrecken bei der Überraschung dabei, daß das Wickelkind die Bratpfanne der Puppe in den Mund steckte, oder wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel verschluckt habe! Die große Befriedigung, wenn sie feststellten, daß es eine unbegründete Sorge gewesen! Welche Freude und welche Dankbarkeit und welches Beglücktsein! Das alles war über alle Begriffe. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder samt ihrem Jubel endlich aus dem Zimmer kamen und zusammen eine Treppe hinaufgingen, wo sie zu Bett gebracht wurden.
Und als jetzt Scrooge aufmerksamer als früher sah, wie der Herr des Hauses, die Tochter liebkosend ihm zur Seite, sich mit ihr und ihrer Mutter an seinem eigenen Kamin niedersetzte; und wie er sich ausmalte, daß ein ebenso liebliches und vielversprechendes Wesen ihn hätte Vater nennen und gleichsam zu einem Frühling in dem öden Winter seines Lebens hätte werden können, da wurden seine Augen recht trübe.
»Bella«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Frau wendend, »ich sah heute nachmittag einen alten Freund von dir.«
»Wen denn?«
»Rate.«
»Wie kann ich das? Doch, jetzt weiß ich«, fügte sie sogleich hinzu, lachend, wie er lachte. »Mr. Scrooge.«
»Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber; und da kein Laden davor war, und Licht drin angezündet war, konnte ich ihn beinahe sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er saß allein dort. Ganz allein in der Welt, glaube ich.«
»Geist«, sagte Scrooge mit bebender Stimme, »führe mich fort von hier!«
»Ich sagte dir, daß dieses Schatten gewesener Dinge seien«, sagte der Geist. »Gib mir nicht die Schuld, daß sie so sind, wie sie sind.«
»Führe mich weg«, rief Scrooge. »Ich kann es nicht ertragen.«
Er wandte sich an den Geist, und als er sah, daß er ihn mit einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise einzelne Züge all der Gesichter zeigten, die er gesehen hatte, rang er mit ihm.
»Laß' mich, führ' mich fort. Umspenstere mich nicht länger.«
In dem Kampfe, wenn das ein Kampf genannt werden kann, in dem der Geist ohne wahrnehmbaren Widerstand seinerseits durch Anstrengungen seines Gegners nicht gestört war, bemerkte Scrooge, daß das Licht auf seinem Haupte hoch und hell brannte. In einem dunklen Instinkt brachte er jenes Licht mit des Geistes Einfluß auf sich in Zusammenhang und ergriff den Lichtauslöscher und stülpte ihn auf des Geistes Haupt.
Der Geist sank darunter zusammen, so daß der Lichtauslöscher seine ganze Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit ganzer Kraft niederdrückte, konnte er das Licht nicht verbergen, das darunter hervorströmte und mit hellem Schimmer den Boden überflutete.
Er fühlte sich sehr erschöpft und von einer unwiderstehlichen Müdigkeit befallen, und er war sich bewußt, daß er in seinem eigenen Schlafzimmer war. Er gab dem Lichtauslöscher noch einen Druck zum Abschied und fand kaum Zeit, in das Bett zu wanken, als er auch schon in tiefen Schlaf sank.


Drittes Kapitel.
Der zweite der drei Geister.


Als Scrooge mitten in einem tüchtigen Geschnarch aufwachte, richtete er sich im Bett empor, um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal brauchte ihm niemand erst zu sagen, daß die Glocke zum Schlage eins ausholen wollte. Er fühlte, daß er gerade zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen Zweck erwacht sei, um eine Unterredung mit dem zweiten an ihn durch Jakob Marleys Vermittlung abgesandten Boten zu führen. Aber bei dem Gedanken, welche von den Bettgardinen das neue Gespenst wohl zurückziehen würde, überlief es ihn kalt, und er schlug sie eigenhändig zurück. Dann legte er sich wieder nieder und beschloß, rund um das Bett scharfe Ausschau zu halten. Er wollte den Geist im Augenblick seiner Erscheinung anreden und wünschte nicht, überrascht und nervös gemacht zu werden.
Leute von freier und leichter Natur, die sich schmeicheln, es schon mit etwas aufnehmen zu können und immer auf dem Platze zu sein, betonen ihre weitreichenden Fähigkeiten dadurch, daß sie erklären, sie wären zu allem imstande, vom Brotessen bis zum Menschenverschlingen, zwischen welchen beiden Extremen ohne Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zum Erweisen ihrer Kräfte liegt. Ohne gerade zu behaupten, daß Scrooge es soweit gebracht hätte, muß ich doch den Leser ersuchen, mir zu glauben, daß er auf eine recht stattliche Auswahl von Erscheinungen gefaßt war, und daß nichts von einem Säugling bis zu einem Rhinozeros ihn sehr in Erstaunen gesetzt haben würde.
Aber weil er auf alles gefaßt war, war er nicht vorbereitet, nichts zu sehen; und als die Glocke ein Uhr schlug und keine Gestalt erschien, überkam ihn ein heftiges Zittern. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber es erfolgte nichts. All die Zeit über lag er auf seinem Bett, mitten in einer Flut rötlichen Lichts, das sich über ihn ergoß, als die Glocke die Stunde verkündete; und dies wirkte, weil es nur Licht war, viel beunruhigender als ein Dutzend Geister, denn er konnte unmöglich erraten, was dies bedeute oder was das heißen sollte. Ja, er fürchtete mitunter, er bilde in diesem Augenblick einen interessanten Fall von halluzinatorischem Eigenleuchten, ohne den Trost zu haben, dessen auch gewiß zu sein. Endlich jedoch begann er zu glauben, daß die Quelle jenes geisterhaften Lichts sich in dem anstoßenden Zimmer befinden möge, aus dem es bei näherem Nachsehen zu fluten schien. Als dieser Gedanke in ihm Platz genommen hatte, stand er leise auf und schlürfte in Pantoffeln nach der Tür.
Im gleichen Augenblick, da sich Scrooges Hand auf die Türklinke legte, rief ihn eine fremde Stimme beim Namen und befahl ihm einzutreten. Er gehorchte.
Es war sein eigenes Zimmer. Daran war nicht zu zweifeln. Aber eine überraschende Veränderung war damit vorgegangen. Wände und Decke waren ganz mit frischem Grün umkleidet, daß es aussah wie eine Laube, in der überall prächtige Beeren schimmerten. Die glänzenden steifen Blätter der Stechpalme, der Mistel und des Efeus spiegelten das Licht wider und sahen daher selbst aus wie lauter kleine Spiegel. Ein so gewaltiges Feuer loderte im Kamin, wie dieser fossile Überrest einer ehemaligen Feuerstätte ihn seit vielen, vielen Wintern nicht erfahren hatte. Auf dem Boden aber lagen um eine Art von Thron Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel, lange Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Fäßchen voll Austern, leckere Kastanien, rotbäckige Apfel, saftige Orangen, Birnen, ungeheuere Christstollen und dampfende Punschbowlen aufgehäuft, die das Zimmer mit köstlichem Duft erfüllten. Auf diesem Throne aber saß behaglich und mit fröhlichem Antlitz ein Riese, ergötzlich anzuschauen. In der Hand hielt er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn gestaltet, hob sie hoch empor, um Scrooge damit zu beleuchten, als er scheu in das Zimmer blinzelte.
»Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein, Mann, und lerne mich kennen.«
Scrooge trat schüchtern ein und neigte das Haupt vor dem Geist. Er war nicht mehr der hartherzige Scrooge, der er gewesen, aber obgleich des Geistes Augen hell und mild glänzten, hatte er doch keine Neigung, ihnen zu begegnen.
»Ich bin der Geist der diesmaligen Weihnacht«, sagte die Gestalt. »Sieh mich an.«
Scrooge gehorchte mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist trug ein schlichtes, dunkelgrünes Gewand, mit weißem Pelz besetzt. Die mächtige Brust war entblößt, als verschmähe sie, sich künstlich zu verbergen. Auch die Füße waren nackt und schauten unter den weiten Falten des Gewandes hervor. Auf dem Kopf aber trug er nichts anderes als einen Stechpalmenkranz, in dem hier und da Eiszapfen glänzten. Seine dunkelbraunen Locken wallten lang und frei herab. Sein munteres Gesicht, sein glänzender Blick, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes Benehmen, alles sprach von Offenheit und heiterm Sinn. Um die Hüften war er mit einer alten Degenscheide gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen, und keine Klinge ruhte darin.
»Du hast meinesgleichen niemals vorher gesehen«, rief der Geist.
»Niemals«, entgegnete Scrooge.
???
Der zweite führende Geist lädt Scrooge zur Wanderung ein.
»Hast du dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie abgegeben, ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren Brüder, die in den letzten Jahren geboren wurden?« fuhr die Erscheinung fort.
»Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Ich bedaure, es nicht getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«
»Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.
»Eine schrecklich große Familie für den, der für sie sorgen muß«, murmelte Scrooge.
Der Geist der diesmaligen Weihnacht stand auf.
»Geist«, sagte Scrooge unterwürfig, »führe mich, wohin du willst. Ich ging gestern nacht aus Zwang mit, und mir wurde eine Lehre gegeben, die jetzt wirksam ist. Heute bin ich bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich darauf achten.«
»Berühre mein Gewand.«
Scrooge tat, wie ihm befohlen worden, und hielt sich fest.
Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Puddings, Früchte und Punsch, alles verschwand im Augenblick. Auch das Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schein, die nächtliche Stunde, und sie standen in den Straßen der Stadt, am Morgen des Weihnachtstages, wo die Leute, da es sehr kalt war, eine rauhe, aber fröhliche und nicht ungefällige Musik machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster und den Dächern ihrer Häuser zusammenfegten. Dabei aber standen die Kinder und freuten sich und frohlockten, wenn die Schneelawinen von den Dächern herunterstürzten und in künstliche Schneestürme zerstoben.
Die Hausfronten schauten recht schwarz darein und die Fenster noch schwärzer, verglichen mit der glatten weißen Schneedecke auf den Dächern und dem gelben Schnee auf den Straßen. Dort war er von den schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe Furchen aufgepflügt; Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal kreuzten, wo eine Nebenstraße ausging, und in dem dicken, gelben Schmutz und halbgefrorenen Wasser merkwürdige Rinnsale bildeten. Der Himmel war schwer, und selbst die kürzesten Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren, dessen schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen, als ob alle Schornsteine von England auf einmal angezündet wären und jetzt nach Herzenslust brannten. Es war nichts Heiteres in der ganzen Umwelt; und doch lag etwas in der Luft, was die klarste Sommerluft und die hellste Sommersonne nicht hätte hervorrufen können. –
Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern kehrten, waren lustig und voll Ausgelassenheit. Sie riefen einander von den Dächern zu und bewarfen einander dann und wann mit Schneebällen – ein gutmütigerer Pfeil als manches Wort – und lachten herzlich, wenn er traf, und nicht weniger herzlich, wenn er vorbeitraf.
Die Läden der Geflügelhändler waren noch halb geöffnet, und die der Obsthändler strahlten in hellem Glanze. Da sah man große, runde, dickbäuchige Kastanien körbeweise ausgeschüttet, gleich den Bäuchlein lustiger alter Herren, die an ihrer Haustür lehnten oder in apoplektischer Fülle sich auf der Straße trudelten. Da sah man braune, dickbäuchige, breitgedrückte spanische Zwiebeln, die in ihrer Rundheit spanischen Mönchen glichen, wie sie mutwillig den Mädchen winkten, die vorübergingen und verschämt nach dem Mistelzweige schielten. Da sah man Birnen und Äpfel in Pyramiden aufgeschichtet, Trauben, die der Kaufmann in freundlicher Berechnung recht augenfällig am Haken hängen ließ, damit den Vorübergehenden das Wasser kostenlos im Munde zusammenlaufe, Haufen von Lambertsnüssen, bemoost und braun, mit ihrem frischen Duft an vergangene Wanderungen im Wald durch das raschelnde, fußhohe welke Laub erinnernd! Norfolk-Biffins (Backäpfel), fett und leuchtend, in ihrer Bräune von den goldgelben Orangen abstechend und herrlich einladend, daß man sie in Papiertüten nach Hause tragen und zum Nachtisch verspeisen möge. Ja, selbst die Gold- und Silberfische aus dem dick- und kaltblütigen Geschlecht, die in einem Glase mitten unter den auserlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß etwas Besonderes los sei, und schwammen in ihrem Element gravitätisch und vornehm umher.
Und nun erst die Spezereigeschäfte! Fast geschlossen waren sie, vielleicht ein oder zwei Laden vorgezogen; aber welche Herrlichkeiten sah man durch diese Öffnungen! Nicht nur, daß die Wagschalen mit einem fröhlichen Klange auf dem Ladentisch auf und nieder schaukelten, oder daß der Bindfaden und seine Rolle so munter voneinander schieden, oder daß die Büchsen wie Würfelbecher blitzschnell hin und her fuhren, oder daß der vermischte Geruch von Kaffee und Tee der Nase so wohltuend war, die Rosinen so wunderschön, die Mandeln so weiß, die Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so verlockend, die eingemachten Früchte so dick mit Zuckerglasur belegt waren, daß selbst der frostigste Zuschauer entzückt wurde; nicht nur, daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die Reineclauden in bescheidener Koketterie aus ihren geschmückten Büchsen heraus erröteten, oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem Weihnachtskleid war: das allein war es nicht.... Die Kaufenden waren auch alle so eifrig und eilig in der Vorfreude auf das Fest, daß sie in der Türe gegeneinander rannten, wie von Sinnen mit ihren geflochtenen Körben zusammenfuhren, ihre Einkäufe vergaßen und wieder zurückliefen, um noch nachzuholen, und tausend ähnliche Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während der Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die blinkenden Herzen (Brosche), die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre eigenen hätten sein können, die offen zur Schau getragen wurden.
Aber bald riefen die Glocken das Volk nach den Kirchen und Kapellen; und in ihren besten Kleidern und mit ihren feiertäglichsten Gesichtern gingen die Leute durch die Straßen; und zur gleichen Zeit strömten aus den Nebenstraßen und Gäßchen und unzähligen Winkeln viele, viele Leute, die ihre Pasteten zu dem Bäcker trugen, um sie dort backen zu lassen. Der Anblick dieser nicht mit Glücksgütern gesegneten Lebenskünstler schien den Geist besonders zu interessieren; denn er blieb mit Scrooge in eines Bäckers Torweg stehen und nahm die Deckel von den Schüsseln ab, wenn die Träger vorübergingen, um den Inhalt mit Weihrauch aus seiner Fackel zu durchwehen. Es war eine ganz ungewöhnliche Art von Fackel; einige Male nämlich, als einige Leute zusammengerannt waren und heftige Worte fielen, schüttete der Geist einige Tropfen Tau aus seiner Fackel auf sie nieder, und ihre fröhliche Laune war augenblicklich wieder hergestellt; dann sagten sie, es sei eine Schande, sich am Weihnachtstage zu zanken. Und das war es auch! Bei Gott, das war es!
Allgemach verstummten die Glocken, und die Läden der Bäcker wurden geschlossen; und doch schwebte noch ein schattenhafter Hauch von allen diesen Mittagessen und dem Fortschritt ihrer Zubereitung in dem getauten, nassen Fleck über jedem Ofen; und in diesem Ofen rauchten die Kacheln, als wenn die Steine selbst kochten.
»Ist ein besonderer Reiz in dem, was deine Fackel ausstreut?« fragte Scrooge.
»Ja, mein eigener.«
»Und wirkt er auf jedes Mittagsmahl heute?« fragte Scrooge.
»Auf jedes, das gern gegeben wird. Auf das eines Armen am meisten.«
»Warum auf das eines Armen am meisten?«
»Weil es desselben am meisten bedarf.«
»Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich wundert's, daß du allein von allen Wesen der mannigfachen Welten um uns wünschen solltest, diesen Leuten die Gelegenheit unschuldigen Vergnügens zu rauben.«
»Ich?« rief der Geist.
»Du willst sie ja der Mittel berauben, jeden siebenten Tag zu Mittag zu essen, jener Tag, der doch oft der einzige Tag ist, an dem sie überhaupt zu Mittag essen können«, sagte Scrooge. »Stimmt das nicht?«
»Ich?« rief der Geist.
»Verzeihe mir, wenn ich mich irre. Es ist in deinem Namen geschehen oder wenigstens in dem deiner Familie«, sagte Scrooge.
»Es gibt Menschen auf eurer Erde«, antwortete der Geist, »die uns zu kennen vorgeben und die ihre Taten des Stolzes, der Mißgunst, des Hasses, des Neides, der Heuchelei und der Selbstsucht in unserem Namen tun; die uns und unserem ganzen Geschlecht so fremd sind, als ob sie nie gelebt hätten. Bedenke das und rechne ihre Taten ihnen selbst zur Last, aber nicht uns.«
Scrooge versprach dies, und sie drangen unsichtbar, wie bisher, weiter in die Vororte der Stadt ein. Es war eine bemerkenswerte Eigenschaft des Geistes (Scrooge hatte sie an ihm unter des Bäckers Torweg bemerkt), daß er, trotz seiner riesenhaften Erscheinung, doch überall leicht sich schicken konnte, und daß er unter einem niedrigen Dach ebenso anmutsvoll und wie ein übernatürliches Wesen dastand, wie in der hohen Halle.
Vielleicht war es das Vergnügen, das der gute Geist darin empfand, diese Macht zu zeigen, vielleicht auch sein warmherziges, freundliches Naturell und sein Mitgefühl für alle Armen, was ihn gerade zu Scrooges Clerk führte; denn er ging wirklich hin und nahm Scrooge mit, der sich an seinem Gewande festkrampfte. Auf der Schwelle stand der Geist lächelnd still und segnete Bob Cratchits Heim mit dem Feuer seiner Fackel. Denkt euch nur, Bob hatte nur fünfzehn »Bob« (Schillinge) die Woche; er empfing als Lohn Sonnabends nur fünfzehn seiner Namensvettern, und doch segnete der Geist der diesmaligen Weihnacht seine Hütte, die nur vier Räume enthielt.
Da erhob sich also Mr. Cratchits Frau vor ihnen in einem ärmlichen, zweimal gewendeten Kleide, aber hübsch aufgeputzt mit Bändern, die billig sind, indessen für sechs Pence nett genug ausschauen. Sie stand im Zimmer und deckte den Tisch und ward dabei unterstützt von Belinda Cratchit, ihrer zweiten Tochter, die ebenso nett mit Bändern geschmückt war. Master Peter Cratchit aber stach und probierte mit der Gabel die Kartoffel in einer Schüssel. Die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs Privateigentum, seinem Sohn und Erben zu Ehren des Festes geliehen) drangen ihm dabei in den Mund, und er war voll Stolz, so schön angezogen zu sein, und voll Verlangen, sein weißes Hemd in den vornehmen Parks zur Schau zu tragen. Jetzt kamen die beiden jüngsten Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und riefen, sie hätten an des Bäckers Tür den Duft der Gans gerochen und gewußt, daß es ihre eigene sei; und in üppig schwelgenden Gedanken an Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und erhoben Master Peter Cratchit bis zum Himmel, während er (nicht hochmütig, obgleich der Hemdkragen ihn fast erwürgte) das Feuer anblies, bis die Kartoffeln gegen die Topfdeckel aufwallten, auf daß man sie herausnehmen und schälen solle.
»Wo bleibt nur euer lieber Vater?« sagte Mrs. Cratchit. »Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha war vorige Weihnachten eine halbe Stunde früher da.«
»Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen Cratchits. »Hurra, es gibt soo eine Gans, Martha.«
»Gott sei Dank, liebes Kind! Wie spät du kommst!« sagte Mrs. Cratchit und küßte sie ein dutzendmal. Dann nahm sie ihr mit geschäftigem Eifer Schal und Hut ab.
»Wir hatten gestern abend viel fertigzubringen«, antwortete das Mädchen, »und mußten heute alles aufräumen, Mutter.«
»Nun, es macht nichts, wenn du nur jetzt da bist«, sagte Mrs. Cratchit, »setz dich zum Feuer, mein Kind, und wärme dich.« –
»Nein, nein, da kommt der Vater«, riefen die beiden kleinen Cratchits, die überall zugleich waren. »Versteck dich, Martha, versteck dich!«
Martha versteckte sich, und jetzt kam Bob herein, der Vater. Wenigstens drei Fuß, ohne die Fransen, hing der Schal auf seine Brust herab, und der abgetragene Anzug war geflickt und gebürstet, um ihn ansehnlich zu machen. Tiny Tim saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine Krücke und mußte seine Glieder durch eiserne Schienen stützen.
»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit, sich im Zimmer umblickend.
»Sie kommt nicht!« sagte Mrs. Cratchit.
»Sie kommt nicht?« fragte Bob, während seine frohe Stimme beträchtlich sank; denn er war den ganzen Weg von der Kirche Tims Vollblutrenner gewesen und im vollen Galopp nach Haus geeilt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«
Martha wollte ihm keinen Kummer bereiten, selbst wenn es nur aus Scherz geschah, und so eilte sie vorzeitig hinter der Kammertür hervor und schlang die Arme um seinen Hals, indessen die beiden kleinen Cratchits sich Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhause schleppten, damit er den Pudding im Kessel singen höre.
»Und wie hat sich der kleine Tim benommen?« fragte Mrs. Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und Bob seine Tochter nach Herzenslust geherzt hatte.
»So gut wie Gold«, sagte Bob, »und noch besser. Freilich, er wird, weil er immer mit sich allein gelassen ist, ganz grüblerisch und sinnt sich die seltsamsten Dinge aus. So sagte er, als wir nach Hause gingen, er hoffe, die Leute sähen ihn in der Kirche, daß er nämlich ein Krüppel sei, und das wäre vielleicht gut für sie, sich dann am Christtag an den zu erinnern, der Lahme gehend und Blinde sehend machte.«
Bobs Stimme zitterte, als er dieses erzählte, und zitterte noch mehr, als er hinzufügte, daß Tiny Tim jetzt stärker und gesünder sich entwickele.
Seine kleine, behend gehandhabte Krücke ward auf dem Hausflur vernehmlich, und ehe ein Wort weiter gesprochen worden, kam Tim zurück und wurde von seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl am Kamin geführt. – Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge aufschlagend – als ob es möglich wäre, sie noch mehr abzutragen –, in einer Bowle eine heiße Mischung aus Kognak und Zitrone zubereitete, sie umrührte und wieder ans Feuer stellte, damit sie warm bliebe, gingen Master Peter und die zwei überall dabei seienden kleinen Cratchits, um die Gans zu holen, mit der sie bald in majestätischer Prozession zurückkehrten. –
Ein solcher Freudenlärm erhob sich jetzt, als sei eine Gans der seltenste aller Vögel, ein gefiedertes Wunder, neben dem ein schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist; und wirklich war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit wärmte die Bratensoße (sie war in einem Pfännchen vorbereitet) wieder auf; Master Peter schmorte die Kartoffeln mit unglaublichem Eifer; Miß Belinda süßte das Apfelmus; Martha wischte die gewärmten Teller ab; Bob aber trug Tiny Tim neben sich an eine gemütliche Ecke des Tisches. Die beiden kleinen Cratchits rückten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund steckend, damit sie nicht nach der Gans schrien, ehe die Reihe an sie kam. Endlich wurden die Gerichte aufgetragen und das Tischgebet gesprochen. Nun folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit das Tranchiermesser gemächlich von der Spitze bis zum Heft prüfte und sich anschickte, es in die Brust des Gänsebratens zu stoßen; aber als sie es tat und die langersehnte Füllung hervorquoll, ertönte ein Murmeln des Entzückens um den ganzen Tisch, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen Cratchits mitgerissen, schlug mit dem Heft seines Messers auf den Tisch und rief mit dünner Stimme Hurra. –
Solch eine Gans hatte es noch nie gegeben. – Bob sagte, er könne nicht glauben, daß jemals eine solche Gans gebraten worden wäre. Ihre Zartheit und Leckerkeit, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe des Apfelmuses und der geschmorten Kartoffeln bildete sie ein hinreichendes Mahl für die ganze Familie; und als Mrs. Cratchit noch einen einzigen kleinen Knochen auf der Schüssel liegen sah, erklärte sie mit großer Freude, sie hätten noch nicht einmal alles aufgegessen. Aber jeder hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis zu den Augenbrauen voller Salbei und Zwiebeln. Jetzt wurden die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ das Zimmer allein – denn sie war zu aufgeregt, um dabei Zeugen dulden zu können –, um den Pudding umzustürzen und zu servieren. –
Man denke sich bloß einmal, er wäre nicht recht durchgebacken! Man denke sich, er zerfiele beim Herausnehmen in Stücke! Man denke, jemand wäre über die Mauer des Hinterhauses geklettert und hätte ihn gestohlen, während sie sich an der Gans gütlich taten – ein Gedanke, bei dem die beiden kleinen Cratchits bleich vor Schrecken geworden wären. Alle möglichen schrecklichen Dinge malten sie sich aus.
Hallo, eine große Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel genommen. Ein Geruch wie an einem Waschtag! Das war die Serviette. Ein Geruch wie in einem Gasthof mit einem Pastetenbäcker als Nachbarn zur Linken und einer Waschfrau als Nachbarin zur Rechten. Das war der Pudding. Nach einer halben Minute trat Mrs. Cratchit herein außer Atem, aber erhaben lächelnd, und vor sich den Pudding, steif und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel, in einem Viertelliter Rum flammend und in der Mitte mit der festlichen Stechpalme geschmückt. –
Oh, ein wundervoller Pudding! Bob Cratchit erklärte mit dem Brustton der Überzeugung, er halte dieses für das größte Kochkunststück, das Mrs. Cratchit seit ihrer Heirat vollbracht habe. Mrs. Cratchit sagte, jetzt, da die Last von ihrem Herzen sei, wolle sie nur gestehen, daß sie sehr in Zweifel gewesen sei, wieviel Mehl eigentlich dazu gehöre. Jeder hatte etwas darüber zu bemerken, aber keinem fiel der Gedanke ein, daß es überhaupt ein kleiner Pudding für eine so große Familie gewesen sei. Das wäre offenbare Ketzerei gewesen. Jeder Cratchit würde sich geschämt haben, so etwas nur zu glauben. –
Endlich war das Mahl beendet; der Tisch war abgedeckt, der Herd gefegt und das Feuer geschürt. Das Gebräu in der Bowle wurde gekostet und für vollendet erklärt, Äpfel und Apfelsinen kamen auf den Tisch und ein paar Hände voll Kastanien wurden auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze Familie Cratchit um den Kamin im Kreise, wie es Bob Cratchit nannte, obwohl es eigentlich nur ein Halbkreis war; Bob in der Mitte und neben ihm der Gläservorrat der Familie, zwei Bierseidel und ein Milchkännchen ohne Henkel.
Diese Gefäße aber hielten das dampfende Gebräu aus der Bowlenterrine so gut, als wenn es goldene Pokale gewesen wären, und Bob kredenzte es mit leuchtenden Blicken, während die Kastanien auf dem Feuer prudelten und platzten. Dann hielt Bob die Trinkrede: »Eine fröhliche Weihnacht für uns alle, meine Lieben! Gott segne uns!«
Die ganze Familie wiederholte den Wunsch.
»Gott segne uns alle und jeden!« sagte Tiny Tim als der letzte von allen.
Er saß dicht neben seinem Vater auf seinem kleinen Stuhl. Bob hielt seine kleine, magere Hand in der seinigen, als ob er das Kind liebe und wünsche, es an seiner Seite zu behalten, und fürchtete, es möchte ihm bald entrissen werden. –
»Geist«, sagte Scrooge mit einer Teilnahme, wie er sie noch nie zuvor gefühlt hatte, »sag' mir, wird Tiny Tim am Leben bleiben?«
»Ich sehe einen leeren Stuhl«, antwortete der Geist, »in der kümmerlichen Kaminecke und eine Krücke ohne einen Besitzer sorgfältig aufbewahrt. Wenn diese Schatten durch die Zukunft unverändert bleiben, wird das Kind sterben.«
»Nein, nein«, sagte Scrooge. »Ach nein, freundlicher Geist, sage, daß es verschont bleibt.« –
»Wenn diese Schatten durch die Zukunft unverändert bleiben, wird kein Nachfolger aus meinem Geschlecht«, antwortete der Geist, »das Kind noch hier finden. Was macht es auch? Wenn es sterben soll, ist es besser, es tut es gleich und verringert die überflüssige Bevölkerung.« –
Scrooge senkte das Haupt, als er seine eigenen Worte von dem Geist vernahm, und es überfielen ihn Reue und Schmerz. –
»Mann«, sagte der Geist, »wenn du ein Mensch in deinem Herzen bist und kein Diamant, dann nimm dich in acht vor solchen verfluchenswürdigen Reden, bis du erst entdeckt hast, was ›überflüssig‹ eigentlich besagen will und wo man es findet! Maßest du dir an zu entscheiden, welche Menschen leben, welche Menschen sterben sollen? Vielleicht bist du in den Augen des Himmels unwürdiger und ungeeigneter zu leben, als Millionen wie dieses armen Mannes Kind. O Gott, das Ungeziefer auf dem Blatt über die zu vielen Lebenden unter seinen hungrigen Brüdern im Staube sich aufhalten zu hören!«
Scrooge demütigte sich vor des Geistes Vorwurf und schlug die Augen nieder; aber er blickte rasch wieder auf, als er seinen Namen nennen hörte.
»Nun soll noch Mr. Scrooge leben!« sagte Bob, »Mr. Scrooge, dem wir im Grunde dieses Fest verdanken!«
»Dem wir dieses Fest verdanken? Ausgezeichnet!« rief Mrs. Cratchit und ward zornrot. »Ich wollte, ich hätte ihn hier. Ich wollte ihm eine Portion meiner Meinung zu kosten geben, und ich hoffe, er würde guten Appetit daran haben!«
»Meine Liebe!« sagte Bob, »die Kinder! – Es ist Weihnachten.«
»Allerdings muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf das Wohl eines so hassenswerten, geizigen, harten und fühllosen Menschen, wie Scrooge ist, trinken kann. Und du kennst ihn, Robert, wie er ist; niemand weiß es besser als du, armer Kerl!«
»Liebe Frau«, erwiderte Bob mild, »es ist Weihnachten.«
»Nun meinethalben! Ich will auf seine Gesundheit trinken, dir und dem Fest zuliebe«, sagte Mrs. Cratchit, »nicht um seinetwillen. Möge er lange leben! Ein fröhliches Weihnachten und ein glückliches neues Jahr! Ich zweifle nicht daran, daß er sehr fröhlich und sehr glücklich sein wird.« Die Kinder schlossen sich mit ihrem Prosit an. Es war das erste, was sie heute abend ohne Herzlichkeit und Wärme hörten. Tiny Tim trank zuletzt, aber er war im Innern ganz unbeteiligt. Scrooge war der Schreckgeist der Familie. Die Erwähnung seines Namens warf einen dunklen Schatten über alle, und es dauerte fünf Minuten, bis er verschwunden war.
Als er vergangen, waren sie zehnmal lustiger als vorher, rein darum schon, weil sie Scrooge, den Grauenvollen, los waren.
Bob Cratchit erzählte, daß er sich nach einer Lehrstelle für Master Peter umgetan habe, die ihm ganze fünf und einen halben Schilling wöchentlich einbringen werde. Die beiden kleinen Cratchits lachten hell auf bei der Vorstellung, Peter als Geschäftsmann zu sehen; Peter selbst aber blickte gedankenvoll aus seinem Vatermörder hervor in das Feuer, als denke er nach, in welchen Devisen er wohl seine Ersparnisse anlegen solle, falls er in den Besitz dieser fabelhaften Summe käme. Martha, die bei einer Putzmacherin eine kärglich bezahlte Angestellte war, erzählte ihnen, was für Arbeit sie jetzt mache und wieviel Stunden sie hintereinander arbeiten müsse, und wie sie morgen früh einmal nach Herzenslust ausschlafen wolle; denn morgen hatte sie ja Feiertag. Auch erzählte sie, daß sie vor einigen Tagen eine Gräfin und einen Lord gesehen, und daß der Lord fast so groß wie Peter gewesen sei, bei welchen Worten Peter seinen Vatermörder so hoch in die Höhe zupfte, daß sein Kopf darin ertrank. Unterdessen gingen die Kastanien und der Punsch die Reihe um, und dazwischen sang Tiny Tim, der ein bescheiden-klägliches Stimmchen hatte, ein Lied von einem Kinde, das sich im Schnee verlaufen, aber er sang es in der Tat recht gut.
An alledem fiel nichts Besonderes auf. Es waren keine hübschen Gesichter in der Familie; sie waren nicht prächtig angezogen; ihre Schuhe waren alles andere als wasserdicht; ihre Kleider waren ärmlich, und Peter mochte recht wohl wissen, wie ein Pfandleihgeschäft von innen aussah. Aber sie waren glücklich, genügsam und dankbar für ihre bescheidenen Freuden, verträglich untereinander und zufrieden, und als ihre Gestalten vergingen und in dem scheidenden Licht der Fackel des Geistes noch glücklicher aussahen, haftete Scrooges Blick immer noch auf ihnen und vor allem auf Tiny Tim.
Inzwischen war es dunkel geworden, und es fiel starker Schnee in hellen Haufen.
Als Scrooge und der Geist durch die Straßen schritten, entzückte sie der Glanz der flammenden Feuer in Küchen, Wohnstuben und aller Art Zimmer über alle Maßen. Hier verkündete die flackernde Flamme die Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller, die sich an dem Feuer durch und durch wärmten, und die dunkelroten Gardinen, die bereit waren, zugezogen zu werden, um Kälte und Finsternis fernzuhalten. Dort rannten alle Kinder des Hauses hinaus auf die beschneite Straße, ihren verheirateten Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen, Onkeln und Tanten entgegen, um sie zuerst willkommen zu heißen. Hier zeigten sich an den Fenstern Schattenrisse der eingetroffenen Gäste und dort eine Gruppe hübscher Mädchen in Pelzkragen und Pelzstiefeln, alle zugleich plaudernd und mit leichten Schritten dem Nachbarhaus entgegentrippelnd. Wehe dem Hagestolz, der sie dort in jugendlicher Glut eintreten sah! Und die kleinen Spitzbübinnen wußten das recht gut.
Wenn man nach der Zahl der Leute hätte schließen wollen, die zu freundschaftlichen Einladungen eilten, hätte man glauben können, es sei niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber jedes Haus erwartete Gäste und in jedem Kamin loderte das Feuer. Guter Himmel, wie sich der Geist freute! Wie er seine breite Brust entblößte und seine volle Hand öffnete, um freigebig seine heitere und harmlose Lust über alle in seinem Bereich auszustreuen! Selbst der Laternenanzünder, der durch die dunklen Straßen eilte, um den trüben Nebel mit Lichtinseln zu erhellen, und der bereits im Festanzug war, um den Abend irgendwo zuzubringen, lachte hell auf, als der Geist vorüberschwebte.
Nun aber, ohne daß der Geist vorher etwas gesagt hätte, standen sie auf einer kahlen, öden Heide, wo riesige Felsblöcke umherlagerten, als wäre hier eine Grabstätte von Riesen. Wasser breitete sich aus, wo es wollte – oder würde es getan haben, wenn es der Frost nicht festhielt. Nur Moos und Ginster und hartes Gras. Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen feurigen Rots zurückgelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe leuchtete, wie ein dräuendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im Dunkel der schwärzesten Nacht verlor.
»Was für ein Ort ist das?« fragte Scrooge.
»Ein Ort, wo Bergleute leben, die in den Tiefen der Erde fronen«, antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«
Ein Licht leuchtete auf aus dem Fenster einer Hütte, und schnell bewegten sie sich darauf zu. Als sie durch die Wand aus Lehm und Steinresten hindurchgeschwebt waren, fanden sie eine vergnügte Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen. Ein alter, alter Mann und eine Greisin mit ihren Kindern und Kindeskindern, alle in festlichen Kleidern. Der alte Mann sang mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Sturmes auf der Einöde übertönte, ein Weihnachtslied; es war schon ein sehr alter Sang gewesen, als er noch ein Knabe war; und in bestimmten Zeiträumen sangen alle im Chor mit. Und jedesmal, wenn sie ihre Stimmen erhoben, wurde der Alte lustig und laut; und immer wenn sie aufhörten, sank seine Kraft wieder.
Der Geist blieb hier nicht lange, sondern befahl Scrooge, sich an seinem Gewand festzuhalten. Sie schwebten über die Heide; aber wohin? Doch nicht aufs Meer? Aufs Meer! Zu seinem Entsetzen sah Scrooge hinter sich auch das letzte Land, einen starren Felsengürtel, verschwinden, und sein Ohr wurde betäubt von der Brandung der Wogen, die in den grausigen Höhlen, die sie ausgenagt hatten, heulten, brüllten und wüteten und die Erde mit wildem Grimm zu unterhöhlen trachteten.
Auf einem einsamen, halb im Wasser versunkenen Riff, wohl eine Meile vom Land, stand ein Leuchtturm. Das ganze lange Jahr hindurch schäumten und tosten rundum die Wellen. Große Haufen von Seetang umschlangen sein Fundament, und Sturmvögel, geboren vom Winde, konnte man glauben, wie Seetang von den Wellen, hoben sich und flogen wieder um den Turm wie die wogenden Wellen drunten, ob denen sie segelten. –
Aber selbst hier hatten die zwei Männer, die den Leuchtturm bewachten, ein Feuer angezündet, das durch das Lugloch in der dicken, steinernen Mauer einen hellglänzenden Strahl auf das nächtliche Meer warf. Sie reichten sich die harten Hände über den Tisch hin, an dem sie saßen, wünschten sich eine fröhliche Weihnacht und stießen mit den Groggläsern an; und einer der beiden, der Ältere, mit einem Gesicht, das Wind und Wetter gebräunt und gefurcht hatten wie die Galionsfigur eines alten Schiffes, stimmte einen machtvollen Gesang an, der wie ein Sturmesrauschen schallte. –
Wieder schwebte der Geist über die dunkle, wallende See davon, immer weiter und weiter, bis sie, fern von jeder Küste, wie der Geist zu Scrooge sagte, auf einem Schiff sich niederließen. Sie standen neben dem Steuermann am Steuerrad, dem Ausluger im Mastkorb, neben den Offizieren, die Nachtdienst hatten. Wie dunkle, gespenstische Gestalten ragten diese auf ihrem Posten. Aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied oder hatte einen Weihnachtsgedanken oder sprach leise mit den Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und heimatlichen Hoffnungen, die sich damit verbanden. Und jeder Mann an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht, hatte an diesem Tage ein freundlicheres Wort für seine Kameraden gehabt, als an jedem andern Tage des Jahres, und wenigstens einigermaßen das Fest gefeiert. Er hatte an die gedacht, die sich jetzt seiner in der Ferne erinnerten, und hatte gewußt, daß sie jetzt seiner liebevoll gedachten.
Es war eine große Überraschung für Scrooge, während er dem Stöhnen des Windes lauschte und nachsann, wie überwältigend es doch sei, durch die öde Nacht über einen unbekannten Schlund zu schiffen, dessen Geheimnisse so verborgen waren wie der Tod, – eine große Überraschung war es für Scrooge, sagte ich, plötzlich ein herzliches Lachen zu hören. Noch größer war Scrooges Überraschung, dieses als das Lachen seines eigenen Neffen wiederzuerkennen. Er stand im geräumigen, hellen, behaglich durchwärmten Raum, während der Geist an seiner Seite stand und mit beifälligem, freundlichem Lächeln auf diesen selben Neffen herniederschaute.
»Haha!« lachte Scrooges Neffe. »Hahaha!«
Wenn ihr durch einen unwahrscheinlichen Zufall das Glück haben solltet, einen Menschen kennenzulernen, der sich glücklicher fühlt, wenn er lacht, als Scrooges Neffe, so kann ich euch nur sagen, ich möchte ihn ebenfalls kennen. Stellt mich ihm vor, und ich werde mich um seine Freundschaft mühen.
Es ist doch eine anständige, ausgleichende und noble Einrichtung des Lebens, daß ebenso wie Krankheit und Kummer ansteckend sind, in der ganzen weiten Welt nichts so unwiderstehlich ansteckend wirkt wie Lachen und Fröhlichkeit.
Als Scrooges Neffe lachte und sich die Seiten hielt und mit dem Kopfe wackelte und die allermerkwürdigsten Gesichter machte, lachte auch dessen Frau, Scrooges angeheiratete Nichte, so herzlich wie er. Und die versammelten Freunde mischten sich ungezwungen und brüllend in den Lachchor.
»Haha! Haha! Haha!«
»Er sagte, Weihnachten wäre Quatsch, so wahr ich lebe«, rief Scrooges Neffe. »Er glaubt es auch.«
»Um so mehr mag er sich schämen, Fritz«, sagte Scrooges Nichte entrüstet. Gott segne die Frauen! Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer ganz bei der Sache.
Sie war sehr hübsch, bemerkenswert hübsch. Sie hatte ein liebliches, erstaunt aufguckendes, eindrucksvolles Gesicht und einen frischen, kleinen Mund, der zum Küssen wie geschaffen schien – was er auch ohne Zweifel war; alle Arten holder, kleiner Grübchen um das Kinn, die ineinander flossen, wenn sie lachte; und das sonnigste Paar Augen, das man je in eines zierlichen Geschöpfes Köpfchen erblickte. Sie war fast, was man sonst keck nennen würde. Oh, entzückend keck und liebenswürdig zugleich!
»Es ist ein komischer, alter Knabe«, sagte Scrooges Neffe; »das ist wahr, und nicht so sympathisch, wie er sein könnte. Aber seine Fehler rächen sich an ihm selbst, und ich habe ihn nicht zu verurteilen.«
»Er mag sehr reich sein, Fritz«, meinte Scrooges Nichte. »Wenigstens sagst du es immer.«
»Was interessiert das uns, Liebe!« sagte Scrooges Neffe. »Sein Reichtum hat für ihn keinen Nutzen. Er tut nichts Gutes damit. Er gönnt sich ja selbst nicht einmal etwas Gutes. Er hat auch nicht das Vergnügen zu denken – hahaha –, daß er auf diese Art uns am Ende damit eine Freude machen wird.«
»Ich habe kein Mitgefühl mit ihm«, bemerkte Scrooges Nichte. Die Schwester von Scrooges Nichte und all die andern Damen waren der gleichen Ansicht.
»Oh, ich habe es«, sagte Scrooges Neffe. »Ich bedaure ihn; ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn ich's wollte. Wer leidet unter seinen bösen Grillen? Er selber, sonst niemand. Jetzt hat er es sich in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden zu können, und will auf unsere Einladung hin nicht zum Mittagessen kommen. Was ist die Folge? Er verliert viel an unserem Gastmahl.«
»Erlaube mal, er verliert ein sehr gutes Essen«, unterbrach ihn seine Frau. Die andern sagten dasselbe, und man mußte sie als kompetente Richter gelten lassen, weil sie eben das Hauptmahl verspeist hatten und jetzt mit dem Dessert beim Lampenlicht um den Kamin saßen.
»Nun, das freut mich zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil ich kein großes Zutrauen zu diesen jungen Hausfrauen habe. Was meinst du dazu, Tropper?«
Man sah es deutlich, Tropper hatte ein Auge auf eine der Schwestern von Scrooges Nichte geworfen; darum antwortete er, daß er ein Junggeselle sei, ein unglücklicher, ausgestoßener Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen. Bei diesen Worten wurde die Schwester von Scrooges Nichte – die Dicke mit dem Spitzenkragen, nicht die mit den Rosen im Haar – rot.
»Weiter, weiter, Fritz!« sagte Scrooges Nichte, in die Hände klatschend. »Er beendet niemals, was er angefangen hat! Er ist ein so komischer Kerl.«
Scrooges Neffe brach in ein neues Gelächter aus, und es war unmöglich, davon nicht angesteckt zu werden, obgleich die dicke Schwester sogar mit einem Riechfläschchen versuchte, sich dagegen zu wehren; sein Beispiel fand einmütige Nachahmung.
»Ich wollt ja nur sagen«, begann Scrooges Neffe, »daß die Folge seines Ärgers über uns und seiner Weigerung, mit uns vergnügt zu sein, nur die ist, daß er einige heitere Momente verliert, die ihm nicht geschadet hätten. Ich bin sicher, daß er dadurch eine angenehmere Unterhaltung verliert, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem modrigen alten Kontor oder in seinen staubigen Wohnzimmern bieten. Ich will ihm jedes Jahr die Gelegenheit dazu bieten, ob es ihm nun paßt oder nicht, denn er tut mir leid. Er mag auf Weihnachten höhnen, bis er stirbt; aber er muß doch endlich besser davon denken, wenn er mich jedesmal in guter Laune zu sich kommen sieht, mit den Worten: Onkel Scrooge, wie geht es Ihnen? Wenn es ihn nur zu dem Vorhaben veranlaßt, seinem armen Diener fünfzig Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas; und ich glaube, ich ergriff ihn doch gestern.«
Es war nun die Reihe zu lachen an ihnen, bei dem Gedanken, daß er Scrooge ergriffen hätte. Aber da der Neffe durch und durch gutartig war und sich nicht sehr darum kümmerte, worüber sie lachten, wenn sie nur überhaupt lachten, so ging er auf ihre Lustigkeit ein und ließ die Flasche fröhlich kreisen.
Nach dem Tee wurde etwas musiziert. Denn sie waren eine musikalische Familie und wußten, was es auf sich hatte, wenn sie mehrstimmig ein Lied oder einen Choral sangen, dessen könnt ihr sicher sein. Topper zumal konnte den Baß brummen nach Noten, ohne daß die Adern auf seiner Stirn anschwollen oder sein Gesicht rot wurde. Scrooges Nichte spielte gut die Harfe, und sie spielte unter andern Stücken auch ein kleines Liedchen (eine reine Nichtigkeit, man hätte es in zwei Minuten pfeifen gelernt), das das Kind, von dem Scrooge aus der Schule geholt worden war, wie es der Geist der vergangenen Weihnacht vorgeführt, oft gesungen hatte. Als Scrooge dieses Liedchen hörte, empfand er alles, was ihm der Geist gezeigt hatte, wieder aufs deutlichste in seinem Innern. Er wurde weicher und milder und dachte, wenn er es vor Jahren oft hätte hören können, so hätte er die gemütlichen Seiten des Lebens genießen können, ohne erst flüchten zu müssen zu des Totengräbers Spaten, der Jakob Marley beerdigt hatte.
Aber sie beließen nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer Weile begannen sie mit Pfänderspielen, denn es ist doch zu schön, zuweilen Kind zu sein, und vorzüglich zu Weihnachten, da sein mächtiger Begründer selbst ein Kind war. Halt! Vorerst spielten sie noch Blindekuh. Das war das Richtige. Und ich glaube ebensowenig, daß Topper wirklich blind war, wie ich glaube, er habe Augen in seinen Stiefeln gehabt. Ich vermute, es war zwischen ihm und Scrooges Neffen abgemachtes Spiel, und der Geist der diesjährigen Weihnacht wußte darüber Bescheid. Die Art, wie Topper die dicke Schwester im Spitzenkragen verfolgte, war eine übertriebene Forderung an die menschliche Leichtgläubigkeit. Ob er das Schüreisen umstieß, über Stühle fiel, das Piano anrannte und sich in den Vorhängen verwirrte – überall folgte er ihr und wußte, wo sie zu finden war. Wenn jemand ihm in den Weg getreten wäre, wie einige taten, oder sich vor ihn hingestellt hätte, würde er sich gestellt haben, als mühe er sich, ihn zu greifen, hätte sich aber augenblicklich umgewandt, der dicken Schwester nach. Sie rief oft, das sei kein ehrliches Spiel, und wirklich, so war es auch. Aber endlich hatte er sie erwischt; und trotz ihres Sträubens sperrte er sie in eine Ecke, wo keine Flucht möglich war; und da wurde seine Aufführung höchst bedenklich. Denn sein Vorgeben, er wisse nicht, wer sie sei, er müsse ihren Kopfputz betasten und, um sie zu erkennen, einen gewissen Ring an ihrem Finger und eine bestimmte Kette um ihren Hals befühlen, war abscheulich unerhört. Und sicherlich sagte sie ihm auch ihre Meinung darüber; denn als eine andere Blindekuh an der Reihe war, waren sie hinter den Gardinen sehr freundlich miteinander.
Scrooges Nichte war keine Teilhaberin an dem Blindekuhspiel, sondern saß behaglich in einer bequemen Ecke in einem Lehnstuhle mit einem Fußbänkchen davor. Der Geist und Scrooge standen dicht hinter ihr. Aber Pfänderspiele spielte sie mit und bekundete die Liebe zu ihren Angebeteten fabelhaft mit allen Buchstaben des Alphabets. Auch in dem Spiele: Wie, wann und wo, war sie obenan und stellte zur geheimen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gar sehr in den Schatten, obgleich diese auch ganz gescheite Mädchen waren, wie uns Topper hätte sagen können. Es mochten ungefähr zwanzig Personen zugegen sein, junge und alte; aber sie spielten alle, und auch Scrooge spielte mit, denn in seiner Hingabe an das Fest vergaß er ganz, daß seine Stimme für sie nicht hörbar war. Er sagte oft seine Antwort auf Fragen ganz laut und riet auch oft sehr richtig, denn die schärfste spitzeste englische Nähnadel, und zwar von dem bekannten Whitechapeler Fabrikat, konnte nicht mit Scrooges Scharfsinn und Spitzfindigkeit konkurrieren, zumal wenn ihm mal der Sinn danach stand.
Dem Geiste gefiel es sehr, ihn in dieser Stimmung zu sehen, und er blickte ihn so freundlich an, daß Scrooge ihn wie ein Junge bat, noch bleiben zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der Geist sagte, dies wäre nicht möglich!
»Hier fängt gerade ein neues Spiel an«, sagte Scrooge. »Nur noch eine halbe Stunde, Geist, eine halbe, bitte!«
Es war ein Spiel, das heißt »Ja und Nein«, bei dem Scrooges Neffe sich etwas auszudenken hatte, während die andern es erraten mußten, was es war. Auf ihre Fragen brauchte er bloß mit Ja oder Nein zu antworten. Das Kreuzfeuer der nun einsetzenden Fragen, die ihm vorgelegt wurden, stellten fest, daß er sich ein Tier dachte, ein lebendiges Tier, ein unsympathisches Tier, ein wildes Tier, ein Tier, das zuweilen raunzte und grunzte, in London lebte, in den Straßen herumlief und nicht für Geld gezeigt und nicht herumgeführt wurde, sich nicht in einer Menagerie befinde und nicht beim Schlächter geschlachtet werde; es sei weder ein Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch ein Bär. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach Scrooges Neffe von neuem in ein Gelächter aus und konnte gar nicht wieder aufhören, so daß er vom Sofa aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die dicke Schwester, in ein ebenso unauslöschliches Gelächter verfallend: »Ich habe es gefunden, ich weiß es, Fred, ich weiß es.«
»Was ist es?« rief Fred.
»Es ist Onkel Scro-o-o-o-ge!«
Und sicherlich, der war es auch. Überraschung war das allgemeine Gefühl, obgleich einige meinten, die Frage: Ist es ein Bär? hätte müssen durch »Ja« beantwortet werden, denn eine verneinende Antwort sei schon genügend gewesen, um ihre Gedanken von Scrooge abzulenken, selbst wenn sie auf der Spur daraufhin gewesen wären.
»Nun, er ist uns ein Born des Vergnügens gewesen«, sagte Fritz, »und so wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Da haben wir auch ein Glas Glühwein zur Hand. Also auf Onkel Scrooge!«
»Schön, auf Onkel Scrooge!«
»Eine fröhliche Weihnacht und ein glückliches Neujahr dem alten Herrn, wie er auch sei!« sagte Scrooges Neffe. »Er wollte das zwar nicht von mir annehmen, aber er möge es doch haben. Also, Onkel Scrooge, sollst leben!« Onkel Scrooge war, ohne es zu merken, so fröhlich und aufgeräumt geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts ahnenden Gesellschaft ihr Hoch erwidert und ihr mit einer allerdings unvernehmbaren Rede gedankt haben würde, wenn der Geist ihm Zeit gelassen hätte. Aber alles verschwand in dem Hauche der letzten Worte des Neffen, und er und der Geist waren wieder auf Wanderschaft. Sie sahen viel und schritten weit umher und besuchten manches Heim. Aber immer verbreiteten sie Glück. Der Geist stand neben Kranken, und sie wurden voll freudiger Zuversicht; er trat in ferne Länder, und die Menschen träumten von der Heimat; er trat zu solchen, die mit dem Leben rangen, und sie wurden geduldig; er trat zu den Armen, und sie empfanden sich als reich. Im Armenhause und im Spital, im Kerker und in jedem Zufluchtsorte des Jammers, wo der Mensch in seiner kleinen ärmlichen Größe dem Geiste die Tür verschlossen hatte, spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge seine Weisheit.
Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber Scrooge hatte seine Zweifel daran; denn die Weihnachtsfeiertage schienen in den Zeitraum, den sie miteinander zubrachten, zusammengedrängt zu sein. Es war auch seltsam, daß, während Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb, der Geist ersichtlich alterte. Scrooge hatte diese Veränderung bemerkt, sprach aber nie davon, bis sie von einer Kinderweihnachtsgesellschaft schieden, wo er bemerkte, daß des Geistes Haar ergraut war.
»Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.
»Mein Leben auf dieser Erde ist sehr kurz«, antwortete der Geist, »es endet noch heute nacht.«
»Heute nacht noch!« rief Scrooge.
»Heute um Mitternacht. Horch, die Stunde naht.«
Die Glocke schlug drei Viertel zwölf.
»Verzeih es mir, wenn ich nicht recht tue zu fragen«, sagte jetzt Scrooge, scharf des Geistes Gewand betrachtend, »aber ich sehe etwas Seltsames, was nicht zu dir gehört, unter deinem Mantel hervorlugen. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«
»Nach dem wenigen Fleisch, was sich daran befindet, könnte es Wohl eine Klaue sein«, gab der Geist betrübt zur Antwort.
»Sieh hier.«
In den weiten Falten seines Gewandes wurden jetzt zwei Kinder sichtbar, elend abgemagert, erbarmungswürdig. Sie knieten vor ihm nieder und klammerten sich fest an den Saum seines Gewandes.
»O Mensch, schau hier. Schau hier, schau hier!« rief der Geist.
Es war ein Junge und ein Mädchen. Gelb, krank, zerlumpt und mit scheuem, bösen Blick; aber doch demütig. Wo die Schönheit der Jugend ihre Züge hätte füllen und mit ihren heitersten Farben schmücken sollen, hatte eine verschrumpfte, abgelebte Hand, gleich der des Alters, sie berührt und kränkeln gemacht. Wo Engel hätten thronen dürfen, harrten Teufel mit grimmiger, drohender Miene. Keine Änderung, keine Entwertung der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und grauenhafte Ungeheuer vorzuweisen.
Scrooge prallte entsetzt zurück. Weil aber der Geist sie ihm in dieser Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne Kinder; aber die Worte erstarben ihm selbst im Munde, als wollten sie nicht teilhaben an einer so ungeheuerlichen Lüge.
»Geist, sind das deine Kinder?« Scrooge vermochte nichts weiter zu fragen.
»Es sind des Menschen Kinder«, sagte der Geist, auf sie herniederschauend. »Und sie klammern sich an mich, ihre Väter anklagend. Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist die Not. Präge sie dir beide gut ein, vor allem aber diesen Knaben; denn auf seiner Stirn seh' ich geschrieben, was die verhängnisvolle Folge sein wird, wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es nur«, rief der Geist, seine Hand nach der Stadt erhebend, »verleumdet die, die auch darauf hinweisen! Gebt es zu um eurer Privatinteressen willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!«
»Haben sie keine Stütze, keine Zufluchtsstätte?« rief Scrooge.
»Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, jetzt zu guter Letzt, Scrooges eigene Worte gegen ihn gebrauchend. »Gibt es keine Armenhäuser?«
Die Glocke schlug zwölf.
Scrooge schaute nach dem Geist um, aber er war verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Prophezeiung des alten Jakob Marley, und als er den Blick erhob, sah er ein grauenvolles, tief verhülltes Gespenst sich ihm nahen, wie ein Nebel auf dem Boden daherwallt.


Viertes Kapitel.
Der letzte der drei Geister.


Die Erscheinung schwebte langsam, feierlich und schweigend auf ihn zu. Als sie sich ihm nahte, fiel Scrooge auf die Knie; denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnisvolles Grauen zu erwecken. –
Die Erscheinung war in einen schwarzen, weiten Mantel gehüllt, durch den nichts von ihr sichtbar wurde, als eine ausgestreckte Hand. Wäre diese nicht gewesen, so würde es schwer gefallen sein, die Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umwob.
Als sie neben ihm stand, spürte er, daß sie groß und mächtig war und daß ihr geheimnisvolles Dasein ihn mit Furcht, die ans Gefühl des Erhabenen grenzte, erfüllte. Er erkannte nicht mehr; denn der Geist sprach und rührte sich nicht.
»Habe ich vor mir den Geist der künftigen Weihnachten?« fragte Scrooge.
Der Geist antwortete nicht, sondern deutete mit der Hand auf die Erde.
»Du willst mir die Schatten der Dinge dartun, die noch nicht erfolgt sind«, fuhr Scrooge fort. »Willst du das, Geist?«
Die Spitze der verhüllten Erscheinung legte sich für einen Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neigte; das war die einzige Antwort, die Scrooge empfing.
Obwohl er doch ziemlich an gespenstische Gesellschaft gewöhnt war, graute es Scrooge doch vor der stummen Erscheinung so sehr, daß seine Knie wankten und er kaum mehr zu stehen vermochte, als er sich anschickte, ihr zu folgen. Der Geist hielt für einen Augenblick an, als bemerkte er seine Furcht und wollte ihm Zeit lassen, sich zu beruhigen.
Aber Scrooge erging es dadurch noch schlechter. Ein leeres unbestimmtes Grausen durchzitterte ihn bei dem Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier gespenstische Augen fest auf ihn hefteten, während er, wiewohl er seine Augen heftig anstrengte, doch nichts sehen konnte als eine gespenstische Hand und einen großen, dunklen faltigen Mantel.
»Geist der Zukunft!« rief er, »ich fürchte dich mehr als die Erscheinungen, die ich schon wahrgenommen habe. Aber weil ich weiß, daß es Absicht ist, mir Gutes zu tun, und da ich hoffe weiter zu leben, um ein anderer Mensch zu werden, als ich es früher war, bin ich bereit, dich zu begleiten, und ich tue das mit dankbarem Sinn. Willst du nicht mit mir reden?«
Die Gestalt antwortete ihm nicht. Die Hand wies gerade in die Ferne vor ihnen.
»Führe mich«, rief Scrooge. »Führe mich, die Nacht geht schnell dahin, und die Zeit ist kostbar für mich. Führe mich, Geist.«
Die Erscheinung bewegte sich von ihm fort, ebenso, wie sie auf ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, der, wie es ihm dünkte, ihn emporhob und davontrug.
Es war kaum so, als ob sie in das Stadtzentrum von sich aus hineingelangten; denn das Stadtzentrum schien eher rund um sie in die Höhe zu schießen und sie zu umzingeln. Aber sie waren doch im Herzen desselben, auf der Börse unter den Kaufleuten, die hin und her eilten, mit dem Geld in ihren Taschen klapperten, in Gruppen miteinander sprachen, nach der Uhr blickten und gedankenvoll mit den großen, goldenen Uhranhängern spielten, wie Scrooge dies oft bemerkt hatte.
Der Geist blieb bei einer Schar von Kaufleuten stehen. Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung dahinwies, und so näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch mit anzuhören.
»Nein«, sagte ein großer, korpulenter Herr mit einem mächtigen Unterkinn, »ich kann nicht viel darüber sagen. Ich weiß nur, daß er tot ist.«
»Wann starb er denn?« fragte ein anderer.
»Vorige Nacht, wenn ich recht unterrichtet bin.«
»Nun, wie geht das zu?« fragte ein Dritter und nahm eine gewaltige Prise aus einer sehr großen Dose. »Ich dachte, er würde nie sterben.«
»Weiß Gott, wie es kam«, sagte der erste gähnend.
»Was hat er mit seinem Gelde begonnen?« fragte ein Herr mit einem roten Gesicht und mit einem Gewächs auf der Nasenspitze, das hin und her wackelte wie der Lappen eines Hahns.
»Ich habe darüber nichts vernommen«, sagte der Mann mit dem großen Unterkinn, abermals gähnend. »Er hat es wahrscheinlich seiner Sippschaft hinterlassen. Mir hat er es nicht vermacht. Soviel weiß ich.«
Dieser geistreiche Scherz wurde mit allgemeinem Gelächter aufgenommen.
»Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden«, fuhr derselbe Unterhalter fort; »denn so wahr ich lebe, ich kenne niemanden, der folgen sollte. Wenn wir nun zusammenträten und freiwillig folgten?«
»Ich bin dabei, wenn für einen Lunch gesorgt wird«, bemerkte der Herr mit dem Gewächs auf der Nasenspitze. »Aber ich muß wohl bewirtet werden, wenn ich dabei sein soll.«
Ein erneutes Gelächter.
»Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von euch«, sagte der erste Redende wieder, »denn ich trage nie schwarze Handschuhe und esse keinen Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch andere finden. Wenn ich mir's recht überlege, war ich am Ende sein nächster Freund, wenn wir uns auf der Straße trafen. Guten Morgen, guten Morgen!«
Die Redenden und Zuhörenden trennten sich und mischten sich unter andere Gruppen. Scrooge kannte die Leute und blickte den Geist fragend an.
Der Geist schwebte weiter die Straße entlang.
Seine Hand wies auf zwei sich treffende Personen.
Scrooge hörte wieder zu, hoffend, daß er hier die Erklärung vernehmen werde.
Auch diese beiden kannte er genau. Es waren Kaufleute, sehr reich und von großem Ansehen. Er war immer bemüht gewesen, sich ihrer Achtung zu versichern, das heißt in Geschäftssachen, bloß in Geschäftssachen.
»Wie geht es?« fragte der eine.
»Wie geht es Ihnen?« fragte der andere.
»Gut«, sagte der erste. »Der alte Geizhals ist endlich tot, wissen sie es schon?«
»Ich hörte es«, erwiderte der zweite. »Es ist kalt, nicht wahr?«
»Wie sich das zu Weihnachten gebührt. Sie sind wohl kein Schlittschuhläufer?«
»Nein, nein. Ich habe an andere Dinge zu denken. Guten Morgen!«
Kein Wort weiter. So begegneten sie sich, so schieden sie.
In Scrooge regte sich erst Erstaunen, weil der Geist auf anscheinend so unbedeutende Gespräche Wert zu legen schien. Aber sein Gefühl sagte ihm, daß sie eine geheime Bedeutung haben müßten, und er grübelte darüber nach, was diese wohl sein möge. Sie konnten nicht auf den Tod Jakobs, seines alten Kompagnons, Bezug haben, denn dieser gehörte in die Vergangenheit, und sein Führer war der Geist der Zukunft ... Auch konnte er sich niemand von seinen näheren Bekannten denken, auf den er sie hätte beziehen können. Aber in der Gewißheit, daß, auf wen sie sich auch beziehen möchten, doch darinnen für ihn eine wichtige Mahnung liege, beschloß er, jedes Wort, das er vernahm, und jede Szene, die er schaute, getreulich in seinem Herzen zu behalten und namentlich seinen Schatten zu beobachten, wenn er erschien. Denn er erwartete von dem Benehmen seines künftigen Selbst die fehlende Aufklärung und die Lösung der Rätsel, die ihm jetzt so schwierig vorkamen.
Schon auf der Börse sah er sich nach seinem Ich um; aber ein anderer stand an seiner gewohnten Stelle, und obgleich die Uhr die Stunde angab, in der er gewöhnlich dort sich befand, erblickte er sich doch auch nicht unter dem Publikum, das sich durch den Eingang hereindrängte. Dieses überraschte ihn indessen wenig; denn er hatte schon lange die Absicht, sein Geschäft aufzugeben, und glaubte und hoffte in diesen zu sehen, wie sein Plan in der Zukunft verwirklicht sei.
Dunkel und bewegungslos ragte neben ihm das Gespenst mit seiner ausgestreckten Hand. Als er wieder in seiner nachdenklichen Haltung die Augen erhob, glaubte er der Richtung der Hand nach, daß die unsichtbaren Augen sich starr auf ihn richteten. Bei diesem Gedanken befiel ihn ein kalter Schauer.
Sie verließen das Geschäftsviertel und eilten nach einem abgelegenen Teil der Stadt, wo Scrooge nie vorher gewesen war, dessen Lage und schlechter Ruf ihm aber bekannt waren. Die Straßen waren schmutzig, schmal und krumm; die Läden und Häuser ärmlich; die Menschen verlumpt, betrunken, barfuß, häßlich. Gäßchen und Torwege strömten wie ebensoviele Kloaken Übelkeit erregende Dünste, Schmutz und Menschen in den Straßen; und das ganze Viertel schien erfüllt von Verbrechen, von Verkommenheit und Elend.
In einem der tiefsten Winkel dieser Heimat der Sünde und Schande war ein niedriger, dunkler Laden unter einem Wetterdach, wo Eisen, Lampen, Flaschen, Knochen und schmutzige Abfälle jeder Sorte verkauft wurden. Auf dem Fußboden innerhalb lagen ein Haufen verrosteter Schlüssel, Nägel, Ketten, Türangeln, Feilen, Geschäftswagen, Gewichte und altes Eisen in buntem Durcheinander. Geheimnisse, nach deren Lüftung wenige verlangen würden, wurden hier erzeugt und verborgen in Bergen widriger Lumpen, Massen ranzigen Fettes und ganzen Beinhäusern von Knochen. Mitten unter den Waren, womit er handelte, saß neben einem aus alten Ziegeln zusammengesetzten Kamin ein grauhaariger, fast siebzig Jahre alter Spitzbube, der sich vor der Kälte draußen durch einen faltigen Vorhang aus allerlei Lumpen, die auf eine Leine gehängt waren, geschützt hatte und seine Pfeife im ausgiebigen Behagen rauchte.
Scrooge und die Erscheinung gesellten sich zu diesem Mann, gerade als eine Frau mit einem schweren Bündel in die Trödlerei schlich. Aber sie war kaum eingetreten, als eine zweite Frau, auch mit einem Bündel, ihr folgte. Auf diese wieder kam dicht ein Mann hinterdrein in einem alten, abgetragenen schwarzen Anzug. Dieser Mann fuhr bei ihrem Anblick nicht weniger zusammen, als sie voreinander erschrocken waren. Nach einigen Augenblicken schweigenden Staunens, an dem auch der Alte mit der Pfeife beteiligt war, brachen sie alle drei in ein lautes Gelächter aus.
»Nun sage einer, die Leichenwäscherin würde die erste sein«, sagte die zuerst Eingetretene. »Sage einer, die Wärterin würde die zweite sein; und nenne jemand des Leichenbesorgers Gehilfen als den dritten. Sich mal, alter Joe, wie sich das trifft. Wie wir uns nicht alle drei hier begegnet sind, ohne daß wir die Absicht hatten.«
»Ihr hättet euch an keinem besseren Platz begegnen können«, sagte der alte Joe, die Pfeife aus dem Munde nehmend. »Kommt in die gute Stube, Ihr habt schon lange das Recht der Niederlassung dort, das wißt Ihr; und die beiden anderen sind auch keine Unbekannten. Wartet, bis ich die Ladentür geschlossen habe. Wie sie knarrt! Ich glaube, es gibt kein so rostiges Stück Eisen im ganzen Laden, wie die Türangeln; und ich weiß, es gibt keine so alten Knochen hier, wie meine. Hihi, wir passen alle zu unserem Geschäft. Kommt in die gute Stube.«
Die gute Stube war der Raum hinter dem Lumpenvorhang. Der Alte scharrte das Feuer mit einem alten Jalousiestabe, rückte den Docht seiner rauchigen Lampe (denn es war am Abend) mit dem Stiel seiner Pfeife empor und steckte diese wieder in den Mund.
Indessen er damit beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit koketter Dreistigkeit auf einen Stuhl, dann legte sie die Hände auf die Knie und blickte die beiden anderen herausfordernd an.
»Nun, was gibt es hier für einen Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er tat dies auch immer.«
»Das ist richtig«, sagte die Wärterin. »Keiner tat es mehr.«
»Nun, warum schaut ihr euch da einander an, als hättet ihr gegenseitig Furcht? Wer ist der Gescheitere? Wir wollen doch einander nicht die Augen aushacken, meine ich!«
»Nein, sicherlich nicht«, sagten Mrs. Dilber und der Mann gleichzeitig. »Wir wollen das nicht hoffen.«
»Also schön«, rief die Frau, »das genügt. Wem schadet's, wenn wir so ein paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!«
»Nein, gewiß nicht«, meinte Mrs. Dilber lachend.
»Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte», fuhr die Frau fort, »warum benahm er sich bei Lebzeiten nicht besser? Wenn er sich anders aufgeführt hätte, würde jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Atem aushauchen mußte.«
»Dies ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden«, versetzte Mrs. Dilber.
»Es ist ein Gottesurteil.«
»Ich wollte, es wäre ein bißchen schwerer ausgefallen«, sagte die Frau, »und das wäre auch der Fall gewesen, verlaßt euch drauf, wenn ich mehr hätte erhaschen können. Mach das Bündel auf, Joe, und sag mir, was es wert ist. Sprich offen. Ich fürchte mich nicht, die erste zu sein, noch es die andern sehen zu lassen. Wir wußten recht wohl, daß wir Sorge hatten, bevor wir uns hier trafen. Aber es ist keine Sünde. Öffne das Bündel, Joe.«
Aber die Höflichkeit ihrer Freunde wollte das nicht gestatten, und der Mann in dem zerschlissenen schwarzen Rock brachte seine Beute zuerst. Es war nicht viel daran. Ein oder zwei Uhranhängsel, ein silberner Bleistift, ein paar Hemdenknöpfe und eine Schlipsnadel von geringem Wert war alles. Sie wurden von dem alten Joe untersucht und taxiert, worauf er die Summe, die er für jedes bezahlen wollte, an die Wand schrieb und zusammenrechnete, als er sah, daß sie alles hergegeben hatten.
»Das ist Eure Rechnung«, sagte Joe, »und ich gebe keinen Heller mehr, und wenn ich in Stücke gehauen werden sollte. Wer kommt jetzt?«
Mrs. Dilber war die nächste. Sie hatte Bett- und Handtücher, einige Kleidungsstücke, zwei altmodische silberne Teelöffel, eine Zuckerzange und einige Paar Stiefel. Ihre Rechnung wurde auf die gleiche Art an die Wand geschrieben.
»Daneben gebe ich immer zuviel. Das ist meine Schwäche, und ich richte mich damit zugrunde«, sagte der alte Joe. »Das ist Eure Rechnung. Wenn Ihr einen Pfennig mehr haben wolltet, so würde ich es bedauern, derart freigebig gewesen zu sein, und ich müßte eine halbe Krone in Abzug bringen.«
»Und nun öffne mein Bündel, Joe«, sagte die erste.
Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu können, und nachdem er eine Menge Knoten gelöst hatte, zog er eine große und schwere Rolle dunkeln Tuchs hervor.
»Was ist das?« fragte Joe. »Bettgardinen.«
»Ja«, rief das Weib lachend und neigte sich vor, »Bettgardinen!«
»Ihr wollt doch nicht behaupten, Ihr hättet sie abgenommen, während er dort lag?« sagte Joe.
»Aber freilich«, sagte das Weib. »Warum denn nicht?«
»Ihr seid geboren, Euer Glück zu schmieden, und Ihr werdet es auch.«
»Ich werde denn doch wirklich meine Hand nicht ruhig einstecken, wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um etwas zu bekommen, und das wegen eines solchen Mannes, wie der war. Nein, wirklich nicht, Joe«, antwortete das Weib ruhig. »Laßt kein Öl auf die Bettdecken fallen.«
»Seine Bettdecke?« fragte Joe.
»Von wem soll sie sonst herrühren?« antwortete das Weib. »Er wird auch ohnedem nicht frieren, meine ich.«
»Er starb doch nicht etwa an einer ansteckenden Krankheit?« sagte der alte Joe, seine Beschäftigung unterbrechend und sie ansehend.
»Deswegen braucht Ihr keine Sorge zu haben«, antwortete die Frau. »Ich hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre, bloß wegen solcher Dinge. Ach, Ihr könnt durch das Hemd gucken, bis Euch Eure Augen brennen, Ihr findet kein Loch drin und keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist es auch. Sie hätten es verdorben, wenn ich nicht da gewesen wäre.«
»Was nennt Ihr: es verderben?« fragte der alte Joe.
»Nun, ihm das Hemd für das Grab anziehen, was sonst?« versetzte die Frau lachend.
»Es war irgendwer närrisch genug, es ihm anzuziehen. Aber ich zog es ihm wieder aus. Wenn Kattun zu so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst ausreichte. Es kleidet eine Leiche ebenso gut. Er kann nicht häßlicher aussehen, als er darin aussah.«
Scrooge hörte das Gespräch voller Grauen an. Als sie da um ihre Diebsbeute in dem kümmerlichen Schein der Lampe des Alten saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und Abscheu, der nicht größer hätte sein können, wenn es abscheuliche Vampire gewesen wären, die um die Leiche selbst handelten.
»Hi, hi!« kicherte dieselbe Frau, als der alte Joe, eine alte wollene Geldbörse hervorholend, jedem den Preis des Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der Geschichte, seht ihr! Er jagte jeden von sich, solange er lebte, um uns zu nützen, wenn er tot war! Hi, hi, hi!«
»Geist«, sagte Scrooge, von der Sohle bis zum Scheitel bebend. »Ich verstehe dich. Das Los dieses Unglücklichen vermöchte das meine zu sein. Mein Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Barmherziger Himmel, was ist das?«
Er prallte entsetzt zurück; denn die Szene hatte sich verwandelt, und nun stand er dicht vor einem Bette, einem einsamen, das keine Vorhänge hatte, und auf diesem Bett lag unter einer groben Decke etwas Verhülltes, das sich, obgleich es stumm war, doch in grausenerregender Sprache vorstellte.
Das Zimmer war sehr finster, zu finster, als daß man etwas genau hätte erkennen können. Trotzdem blickte sich Scrooge, einem geheimen Drang gehorchend, voll Begier um; er wollte wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von außen eindrang, fiel gerade auf das Bett, und auf diesem, ausgeplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, ruhte die Leiche eines Mannes.
Scrooge blickte auf die Erscheinung. Ihre regungslose Hand wies auf das Haupt der Leiche. Die Decke war so lieblos darüber geworfen, daß die geringste Verschiebung, die leiseste Berührung durch Scrooges Finger das Antlitz enthüllt hätte. Er dachte daran, merkte, wie leicht es geschehen könnte, und wünschte, es zu tun; aber er hatte so wenig Macht, die Hülle fortzuziehen, als dem Geist an seiner Seite zu entgehen.
O kalter, unbewegter, schrecklicher Tod, baue hier deinen Altar auf und umgib ihn mit den Schrecknissen, die du zur Verfügung hast, denn hier ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupte vermagst du kein Haar zu krümmen, ihm kannst du keine Miene entstellen. Nicht weil die Hand schwer ist und herniederfällt, wenn man sie gleiten läßt, nicht weil Herz und Puls verstummt sind, sondern weil die Hand offen war und warm und gut und der Puls menschlich. Töte, du Schemen, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der Wunde des Toten hervorströmen, um ewiges Leben in der Welt zu offenbaren.
Keine Stimme flüsterte solche Worte in Scrooges Ohren; aber trotzdem vernahm er sie, wenn er auf das Bett starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder auferweckt werden könnte, was dürfte wohl sein erster Gedanke sein? Geiz, Hartherzigkeit, Gedanken der Habgier? Ein schönes Ziel hatten diese ihm erwirkt.
Er war aufgebahrt in dem dunklen, öden Haus, und kein Mann, kein Weib oder Kind waren da, die bezeugt hätten: Er war gut gegen mich, und in jedem, und in Gedanken an das eine freundliche Wort will ich bei ihm Totenwache halten. Eine Katze kratzte an der Tür, und Ratten nagten und raschelten hinter dem Ofen. Was sie in dem Gemach des Todes suchten, und warum sie so unruhig waren, mochte Scrooge sich nicht auszumalen. –
»Geist«, sagte er, »eine entsetzliche Stätte, wenn ich sie verlasse, werde ich ihren Namen nie vergessen, glaube mir. Laßt uns jetzt von hinnen eilen!«
Immer noch wies der Geist mit unbewegtem Finger auf das Haupt der Leiche.
»Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich würde es tun, wenn ich es vermöchte. Aber ich finde nicht die Kraft dazu, Geist. Ich finde die Kraft nicht dazu.«
Wieder schien der Geist ihn zu durchblicken.
»Wenn irgendeiner in der Stadt ist, der bei dieses Mannes Tod etwas empfindet«, fuhr Scrooge erschüttert fort, »so zeige ihn mir, Geist, ich bitte dich darum.«
Da breitete die Erscheinung ihren dunklen Mantel einen Augenblick vor ihm aus wie ein Flügelpaar, und als sie ihn wieder zusammenschlug, erblickte er ein taghelles Zimmer, in dem eine Mutter mit ihren Kindern hauste.
Sie hoffte auf das Kommen von jemandem in angstvoller Erwartung; denn sie ging im Zimmer auf und nieder, fuhr bei jedem Geräusch zusammen, blickte zum Fenster hinaus und sah nach der Uhr; sie versuchte vergebens zu arbeiten und konnte kaum das Lärmen der spielenden Kinder aushalten.
Endlich vernahm sie das langersehnte Pochen an der Haustür und begegnete, als sie hinausschauen wollte, ihrem Gatten. Sein Gesicht war traurig und bedrückt, obgleich er noch jung war. Es zeigte einen merkwürdigen Ausdruck, eine Art ernster Freude, deren der Mann sich schämte und die nicht zu zeigen er sich bemühte.
Er setzte sich zur Mahlzeit nieder, die man ihm warm gehalten hatte; und als die Frau ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er für Neuigkeiten habe, schien er keine Antwort zu wissen.
»Steht es gut oder schlecht?« fragte sie, um ihm die Auskunft zu erleichtern.
»Schlecht«, antwortete er.
»Wir sind ganz ruiniert?«
»Nein, noch ist Hoffnung möglich, Karoline.«
»Wenn er sich erbitten läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist sie noch da! Überall ist noch Hoffnung, wenn ein solches Wunder zu erwarten ist.«
»Es ist zu spät für ihn, Barmherzigkeit zu üben«, sagte der Gatte. »Er ist tot?«
Sie war ein sanftes und geduldiges Wesen, wenn ihr Gesicht die Wahrheit sprach. Aber sie war im Innern dankbar, als sie dies vernahm, und sagte das auch mit gefalteten Händen. Sie bat im nächsten Augenblick allerdings den Himmel, daß er ihr verzeihen möge, und bereute es; aber das erste war die Regung ihres Herzens gewesen.
»Was mir das halb trunkene Weib gestern abend sagte, als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was ich nur für eine bloße Ausrede hielt, um mich abzufertigen, zeigt sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank, sondern lag schon im Sterben.«
»Auf wen wird unsere Schuld übertragen werden?«
»Ich weiß es nicht. Aber bis dahin werden wir das Geld haben; und selbst, wenn es nicht der Fall sein sollte, müßte es ein ganz besonderes Unglück sein, in seinem Erben einem ebenso unbarmherzigen Gläubiger zu begegnen. Wir können heute nacht leichteren Herzens schlafen, Karoline.«
Ja, sie mochten es zu vertuschen suchen, ihre Seelen waren leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich still um sie drängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, hellten sich auf, und das ganze Haus war glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das einzige durch dieses Ereignis verursachte Gefühl, das ihm der Geist zu zeigen vermochte, war ein solches der Freude.
»Laß mich nun auch irgendeine Zärtlichkeit sehen, die mit dem Tode zusammenhängt«, bat Scrooge, »oder jener dunkle Raum, den wir soeben verlassen haben, wird mir immer gegenwärtig bleiben.«
Der Geist führte ihn durch mehrere Straßen, durch die er oft gegangen war; und als sie vorbeischwebten, hoffte Scrooge, sich hier oder da zu schauen, aber nirgends war er zu erblicken. Sie traten in Bob Cratchits Haus, dieselbe Wohnung, die er schon früher besucht hatte, und sie fanden die Mutter und die Kinder um das Feuer sitzen.
Still war alles. Sehr still. Die lärmenden kleinen Cratchits saßen stumm wie Statuen in der Ecke und sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Die Mutter und die Töchter waren mit Nähen beschäftigt. Aber auch sie waren still, sehr still.
»Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«
Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte sie gelesen haben, als er und der Geist über die Schwelle schritten. Warum fuhr er nicht fort?
Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und legte die Hand über ihr Antlitz.
»Die Farbe tut meinen Augen weh«, sagte sie.
»Die Farbe? Ach, armer Tiny Tim!«
»Sie sind jetzt wieder besser«, sagte Cratchits Frau. »Es ist nicht gut, bei Kerzenlicht zu arbeiten, und ich möchte den Vater, wenn er heimkommt, nicht sehen lassen, daß ich schwache Augen habe. Er muß bald da sein.«
»Er müßte längst da sein«, erwiderte Peter, das Buch zuklappend. »Aber ich glaube, er geht jetzt ein wenig langsamer als sonst, Mutter.«
Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit einer sicheren, heitern Stimme, die nur ein einziges Mal bebte: »Ich bin sicher, daß er mit – ich bin sicher, daß er mit Tiny Tim auf der Schulter wirklich sehr schnell ging.«
»Und ich auch«, rief Peter. »Oft.«
»Und ich auch«, riefen die andern. Sie wußten es alle ebenso.
»Aber er war sehr leicht zu tragen«, fing sie wieder an, fest auf ihre Arbeit sehend, »und der Vater liebte ihn so, daß ihm es keine Mühe machte; keine Mühe. Aber da ist ja der Vater schon an der Tür.«
Sie eilte auf ihn zu, und Bob mit dem Schal – er hatte ihn nötig, der arme Kerl – trat herein. Sein Tee war bereit, und sie drängten sich alle herbei, wer ihn am raschesten bedienen konnte. Dann kletterten die beiden kleinen Crachits auf seine Knie, und jedes Kind legte eine kleine Wange an die seine, als wollten sie sagen: »Denk nicht so viel daran, Vater, gräme dich nicht!«
Bob war sehr liebevoll mit ihnen und sprach sehr munter mit der ganzen Familie. Er besah die Arbeit auf dem Tisch und lobte den Fleiß und den Eifer seiner Frau und Töchter. »Sie würden lange vor Sonntag fertig sein«, sagte er.
»Sonntag! Du warst also heute dort, Robert!« fragte seine Gattin.
»Ja, meine Liebe«, antwortete Bob. »Ich wollte, du hättest mitkommen können. Es würde dein Herz erfreut haben, zu sehen, wie grün der Platz ist. Aber du wirst es oft sehen. Ich versprach ihm, Sonntags hinzugehen. Mein liebes, liebes Kind!« weinte Bob. »Mein liebes Kind!«
Er brach auf einmal zusammen. Er konnte sich nicht helfen. Wenn er es gekonnt hätte, so wären er und sein Kind sich nicht so innig nahe gewesen.
Er verließ das Zimmer und ging die Treppe hinauf in die obere Stube, die hell erleuchtet und weihnachtlich geschmückt war. Ein Stuhl stand dicht neben dem toten Kind, und man sah, daß kurz zuvor jemand dagewesen war. Der arme Bob setzte sich nieder, und als er ein wenig geträumt und sich wieder zusammengerafft hatte, küßte er das kleine Gesicht. Er war mit dem Schicksal ausgesöhnt und ging wieder hinunter, ganz glücklich.
Sie setzten sich um den Kamin und unterhielten sich; die Mädchen und die Mutter arbeiteten weiter. Bob erzählte ihnen von der außerordentlichen Freundlichkeit von Scrooges Neffen, den er kaum einmal sonst gesehen habe. Er wäre ihm heute auf der Straße begegnet, und da dieser bemerkt, daß er ein wenig niedergeschlagen sei, habe er ihn nach der Ursache seines Kummers befragt. »Worauf«, sagte Bob, »denn er ist der liebenswürdigste junge Herr, den ich nur kenne, ich es ihm sagte. Ich bedauere Sie herzlich, Mr. Cratchit, erwiderte er, und auch Ihre gute Frau. Übrigens, wieso er das wissen kann, möchte ich wissen.«
»Was kann er wissen, mein Lieber?«
»Nun, daß du eine gute Frau bist«, versetzte Bob.
»Jedermann weiß das«, sagte Peter.
»Sehr gut bemerkt, mein Junge«, rief Bob. »Ich hoffe, daß es der Fall ist. Herzlich bedaure ich, sagte er, Ihre gute Frau. ›Wenn ich Ihnen auf irgendeine Art behilflich sein kann‹, sagte er, indem er mir seine Karte gab, ›hieraus ersehen Sie, wo ich wohne. Kommen Sie zu mir.‹ »Nun«, sagte Bob, »freute ich mich nicht deshalb so sehr, daß er etwas für uns tun könnte, als vielmehr, weil er so teilnehmend war. Es schien wirklich, als hätte er unsern Tiny Tim gekannt und fühlte mit uns.«
»Ich bin sicher, er ist eine gute Seele«, sagte Mrs. Cratchit.
»Du würdest das noch sicherer glauben, Liebe«, antwortete Bob, »wenn du ihn sähest und mit ihm sprächest. Es sollte mich gar nicht wundern, – merkt auf, was ich sage – wenn er Peter eine bessere Stelle verschaffte.«
»Nun höre nur, Peter«, sagte Mrs. Cratchit.
»Und dann«, rief eins der Mädchen, »wird Peter Kompanie mit einer Jemandin machen und sein eignes Nest bauen!«
»Ach, sei still«, antwortete Peter schmunzelnd.
»Freilich, das kann schon kommen«, sagte Bob, »aber bis dahin hat es noch gute Weile. Aber wenn wir uns auch irgendeinmal trennen müßten, so bin ich doch überzeugt, daß keiner von uns den armen Tiny Tim, oder diese erste Trennung, die uns widerfuhr, vergessen wird.«
»Nein, niemals, Vater«, riefen sie alle.
»Ich bin sehr glücklich«, sagte Bob, »sehr glücklich.«
Mrs. Cratchit und seine Tochter küßten ihn, und die beiden Kleinen taten ein Gleiches. Peter und er aber gaben sich die Hand. Seele Tiny Tims, du warst ein Geschenk von Gott!
»Geist«, sagte Scrooge, »ein unbestimmtes Etwas sagt mir, daß wir bald scheiden müssen. Ich weiß nicht woher, aber ich weiß es. Sage mir, wer es war, den wir auf dem Totenlager erblickten.«
Der Geist der zukünftigen Weihnachten führte ihn wie früher – es schien ihm, daß in verschiedenen letzten Visionen überhaupt keine bestimmte Zeitfolge war – in den Versammlungen der Geschäftsmänner aber sah er sich nicht dabei. Der Geist verweilte nirgends, sondern schwebte immer weiter, wie nach der Stätte hin, wo Scrooge die begehrte Lösung des Rätsels finden würde, bis ihn dieser selbst bat, doch noch einen Augenblick zu verweilen.
»Ja, dieser Hof«, sagte Scrooge, »durch den wir jetzt eilen, war einst mein Geschäft und war es viele Jahre. Ich sehe das Haus. Laß mich sehen, was aus mir in den kommenden Tagen sein wird.«
Der Geist hielt an; aber seine Hand wies anderswohin.
»Das Haus ist dort«, rief Scrooge. »Warum weisest du anderswohin?«
Der unerbittliche Finger wies in keine andere Richtung.
Scrooge eilte an das Fenster seines Kontors und blickte hinein. Es war noch ein Kontor, aber nicht mehr das seine. Die Möbel waren andere, und die Gestalt auf dem Stuhle war eine andere. Der Geist aber zeigte nach derselben Richtung wie früher.
Scrooge trat wieder zu ihm und folgte ihm wieder nachdenkend, warum und wohin sie gingen, bis sie eine eiserne Gitterpforte erreichten. Er stand still, um sich vor dem Eintreten umzuschauen.
Scrooge zu Füßen des dritten Geistes.
Es war ein Kirchhof, – also hier ruhte der Unglückliche, dessen Namen er noch erfahren sollte, unter der Erde. Die Stätte war seiner würdig. Rings von hohen Häusern umgeben, überwachsen von Unkraut, das hier zum Tod aber nicht zum Leben gedeihend wucherte; vollgepfropft von zuviel Leichen; gesättigt von überreichem Genuß. Eine würdige Stätte!
Der Geist stand zwischen den Gräbern still und wies auf eines hernieder. Scrooge nahte sich ihm zitternd. Der Geist war noch ganz so wie ehedem, aber er ahnte erschauernd eine neue Bedeutung in der düstern Gestalt.
»Ehe ich zu dem Stein trete, den du mir weisest«, sagte Scrooge, »beantworte mir eine Frage. Sind dies ... die Schatten der Dinge, die sein werden, oder nur von Dingen, die sein können?«
Beharrlich schweigend deutete der Geist auf das Grab herab, vor dem sie standen.
»Die Wege des Menschen führen zu einem unvermeidlichen Ziel, wenn man auf ihnen beharrt«, sagte Scrooge. »Aber wenn man einen anderen Weg einschlägt, ändert sich das Ziel. Sage, ist dies auch mit dem der Fall, was du mir zeigen wirst?«
Der Geist blieb so unbeweglich wie bisher.
Scrooge näherte sich zitternd dem Grab, und als er der Richtung des Fingers folgte, las er auf dem Stein des öden Grabes seinen eigenen Namen: »Ebenezer Scrooge«.
»Bin ich es, der auf jenem Sterbebett lag?« rief er und sank in die Knie.
Der Finger deutete von dem Grabe auf ihn und wieder zurück.
»Nein, das kann nicht sein, Geist, o nein!«
Der Finger verharrte wie vorher.
»Geist«, rief er verzweifelt und packte das Gewand der Erscheinung, »ich bin nicht mehr der Mensch, der ich ehedem war. Ich will ein anderer Mensch werden, als ich vor diesen Tagen war. Warum zeigst du mir das, wenn alle Hoffnung umsonst ist?«
Zum erstenmal schien jetzt die Hand zu beben.
»Guter Geist«, fuhr er fort, noch immer auf den Knien liegend, »dein eigenes Gemüt bittet für mich und hat Mitleid mit mir. Gib mir nur die Gewißheit, daß ich durch ein verändertes Leben die Schatten, die du mir gezeigt hast, ändern kann!«
Die gütige Hand zitterte stärker.
»Ich will Weihnachten in meinem Herzen ehren und versuchen, stets in seinem Sinn zu leben. Ich will in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft leben. Die Geister von allen dreien sollen mir helfen. Ich will mein Herz ihren Lehren nicht verschließen. Oh, sage mir, ob ich die Schrift auf diesem Steine noch zu tilgen vermag.«
In seiner Angst griff er nach der gespenstischen Hand. Sie versuchte, sich von ihm loszumachen, aber er war kräftig in seinem Flehen und hielt sie fest. Der Geist, noch stärker, stieß ihn zurück.
Als Scrooge seine Hände zu einem letzten Flehen um Änderung seines Schicksals emporhob, sah er die Erscheinung sich verändern. Das einhüllende Gewand sank zusammen, der riesige Körper verging in Nebel und schwand schließlich zu einem Bettpfosten zusammen.




Fünftes Kapitel
Das Ende des Liedes.


Ja, und es war sein eigener Bettpfosten. Es war sein Bett und sein Zimmer. Und was das Glücklichste und Herrlichste war, die Zukunft war sein, damit er sich bessern könne.
»Ich will in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft leben«, wiederholte Scrooge, als er aus dem Bett stieg. »Die Geister von allen dreien sollen in mir wirken. Oh, Jakob Marley, der Himmel und die Weihnachtszeit seien dafür gepriesen! Ich rufe es auf meinen Knien, alter Jakob, auf meinen Knien.«
Er war von seinen guten Vorsätzen so erregt und begeistert, daß seine bebende Stimme ihm kaum gehorchen wollte. Er hatte während seines Ringens mit dem Geiste heftig geweint, und sein Gesicht war noch naß von den Tränen.
»Sie sind nicht herabgerissen«, rief Scrooge, eine der Bettgardinen an die Brust drückend, »sie sind nicht herabgerissen. Sie sind noch da, ich bin noch da, die Schatten der Dinge, die noch kommen, können vertrieben werden. Ja, ich weiß es sicherlich, ich weiß es.«
Währenddessen beschäftigten sich seine Hände mit den Kleidungsstücken. Er zog sie verkehrt an, zerriß sie, verlegte sie und machte allerhand Merkwürdiges damit.
»Ich weiß gar nicht, was ich machen soll«, rief Scrooge in einem Atem weinend und lachend und mit seinen Strümpfen einen wahren Laokoon [Fußnote]Wie Laokoon, der Priester, von Schlangen umstrickt, so umwand sich Scrooge mit seinen Strümpfen. umwindend. »Ich bin leicht wie eine Feder, glücklich wie ein Engel, lustig wie ein Schulbub, taumelnd wie ein Betrunkener. Fröhliche Weihnachten allen Menschen! Ein glückliches Neujahr der ganzen Welt! Hallo! Hussa! Hallo!«
Er war in das Wohnzimmer gesprungen und blieb jetzt dort ganz atemlos stehen.
»Da ist die Schüssel, in der die Grütze war!« rief Scrooge, indem er um den Kamin herumtanzte. »Da ist die Tür, durch die Jakob Marleys Geist hereinkam, da ist die Ecke, wo der Geist der diesjährigen Weihnachten saß, da ist das Fenster, durch das ich die herumschwirrenden Geister sah! Es ist alles richtig, es ist alles wahr, es ist alles geschehen. Hahaha!«
Wirklich, für einen Mann, der so lange Jahre daran gar nicht mehr gewohnt war, war es ein treffliches Lachen, ein herrliches Lachen. Der Vater einer langen, langen Reihe herrlicher Gelächter!
»Ich weiß nicht, welches Datum wir heute haben«, rief Scrooge. »Ich weiß nicht, wie lange ich unter den Geistern gewesen bin. Ich weiß gar nichts. Ich bin wie ein neugeborenes Kind. Das macht aber nichts, ist mir auch gleich, ich will so gern noch einmal ein Kind sein. Hallo! hussa! hallo!«
Er wurde in seinen Jubelausbrüchen von dem Geläute der Glocken unterbrochen, die ihm so lustig zu tönen schienen, wie nie vorher. Bim bam, ding, dong, bim bam. Oh, herrlich, herrlich!
Er lief zum Fenster, öffnete es und steckte den Kopf hinaus. Kein Nebel, keine dumpfe schwere Luft, ein klarer, heiter-glänzender, kalter Morgen, eine Frische, die das Blut wie im Tanz kreisen machte, goldenes Sonnenlicht, ein himmlischer Himmel, liebliche, klare Luft, fröhliche Glocken. Oh, herrlich, herrlich!
»Was ist denn heute?« rief Scrooge einem Jungen in Sonntagskleidern zu, der vermutlich in den Hof getreten war, um sich draußen umzutun.
»Was?« fragte der Knabe, aufs äußerste verblüfft.
»Was haben wir heute für einen Tag, du schmuckes Kerlchen?« fragte Scrooge.
»Heute?« antwortete der Knabe. »Aber es ist doch Weihnachtstag!«
»Es ist doch Weihnachtstag«, sagte Scrooge zu sich selber. »Ich habe ihn nicht versäumt. Die Geister haben alles in einer Nacht vollbracht. Sie können alles, was sie wollen. Natürlich, natürlich. Holla, du schmuckes Kerlchen!«
»Was gibt's?« antwortete der Junge.
»Weißt du des Geflügelhändlers Laden an der zweitnächsten Straßenecke?« fragte Scrooge.
»Aber warum nicht«, antwortete der Junge.
»Ein gescheiter Junge«, sagte Scrooge. »Ein merkwürdiger Junge! Weißt du nicht, ob der extra große Puterbraten, der dort hing, verkauft ist? Nicht den kleinen Puter – nein, den großen.«
»Was, der so groß ist wie ich?« antwortete der Junge.
»Was für ein famoser Junge!« sagte Scrooge. »Es ist ein Vergnügen, mit ihm zu sprechen. Ja, mein Prachtjunge.«
»Oh, der hängt noch dort«, antwortete der Junge.
»Wirklich!« sagte Scrooge. »Ach, dann eil', bitte, hin und kaufe ihn.«
»Sie wollen sich einen Spaß mit mir machen«, rief der Junge.
»Nein, nein«, sagte Scrooge, »es ist mein Ernst. Geh und kaufe ihn und sage, sie sollen ihn hierhersenden, damit ich ihnen die Adresse geben kann, wohin sie ihn tragen sollen. Komm mit dem Träger hierher und ich gebe dir einen Schilling. Kommst du aber in weniger als fünf Minuten zurück, dann sollst du sogar eine halbe Krone erhalten.«
Der Bursche schoß dahin wie der Blitz.
»Ich will ihn Bob Cratchit schicken«, flüsterte Scrooge, sich die Hände reibend und fast vor Lachen berstend. »Er soll nicht wissen, wer ihn geschickt. Der Puter ist zweimal so groß wie Tiny Tim. Joe Miller [Fußnote]Joe Miller, ein zur Zeit Dickens' gefeierter englischer Komiker. hat niemals einen so guten Witz gemacht, wie es dieser ist.«
Als er die Adresse aufsetzte, zitterte seine Hand; aber er schrieb, so gut es gehen wollte, und ging die Treppe hinab, um die Haustür zu öffnen und den Puter zu erwarten. Als er dastand, fiel sein Auge auf den Türklopfer.
»Ich werde ihn lieb haben, solange ich lebe«, rief Scrooge ihn streichelnd. »Früher habe ich ihn kaum angeschaut. Was für ein braves Gesicht er hat! Er ist ein wundervoller Türklopfer! – Da ist der Puter. Hallo, hussa! Wie geht's? Fröhliche Weihnachten!«
Das war ein Puter! Er hätte lebend nicht auf seinen Füßen stehen können. Sie wären – knacks – zerbrochen wie Siegellackstangen.
»Was, das ist ja kaum möglich, den nach Camden-Town zu tragen«, sagte Scrooge. »Ihr müßt einen Wagen nehmen.«
Das Lachen, mit dem er dies sagte, und das Lachen, mit dem er den Puter bezahlte, und das Lachen, mit dem er den Wagen bezahlte, und das Lachen, mit dem er dem Jungen den Botenlohn schenkte, wurden nur von dem Lachen übertroffen, mit dem er sich schließlich atemlos in seinen Stuhl niedersetzte und lachte, bis ihm die Tränen von den Backen kollerten.
Das Rasieren war heute keine leichte Sache: denn seine Hand zitterte immer noch sehr; und Rasieren verlangt große Aufmerksamkeit, selbst wenn man nicht gerade dabei tanzt. Aber wenn er sich die Nasenspitze weggeschnitten hätte, würde er ein Stückchen Heftpflaster darauf geklebt haben und zufrieden gewesen sein.
Er zog seinen besten Anzug an und trat endlich auf die Straße. Die Leute strömten jetzt gerade aus ihren Häusern, wie er es gesehen hatte, als er den Geist der diesjährigen Weihnacht begleitete. Er ging mit auf dem Rücken zusammengeschlagenen Händen durch die Straßen, und Scrooge sah jeden mit einem freundlichen Lächeln an. Er sah so bezwingend freundlich aus, daß drei oder vier lustige Leute zu ihm sagten: »Guten Morgen, Sir, fröhliche Weihnachten!«, und Scrooge erklärte später oft, daß von allen lieblichen Klängen, die er je gehört habe, dieser seinem Ohr am lieblichsten erklungen wäre.
Er war nicht weit gegangen, als er den stattlichen Herrn auf sich zukommen sah, der tags zuvor in sein Kontor getreten war mit den Worten: »Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre.« Es versetzte ihm einen Stich ins Herz, als er dachte, was wohl der alte Herr im Vorübergehen von ihm denken würde; aber er wußte, was er zu tun hatte, und ging auf ihn zu.
»Lieber Herr«, sagte Scrooge, schneller gehend und des alten Herrn beide Hände ergreifend, »wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie hatten gestern noch Erfolg. Es war sehr freundlich von Ihnen. Ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten, Sir.«
»Mr. Scrooge?«
»Ja«, sagte Scrooge, »das ist mein Name, und ich fürchte, er klingt Ihnen nicht sehr erfreulich. Erlauben Sie, daß ich Sie um Verzeihung bitte. Und wollen Sie die Güte haben« – hier flüsterte Scrooge ihm etwas in das Ohr.
»Himmel!« rief der Herr, als ob es ihm den Atem versetzte. »Mein lieber Mr. Scrooge, ist das Ihr Ernst?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Scrooge. »Keinen Penny weniger. Es sind viele Rückstände dabei, ich versichere es Ihnen. Wollen Sie so gefällig sein?«
»Bester Herr«, sagte der andere, ihm die Hand schüttelnd, »ich weiß nicht, was ich zu einer solchen großartigen Freigebigkeit sagen soll.«
»Sagen Sie bitte gar nichts dazu«, antwortete Scrooge. »Besuchen Sie mich. Wollen Sie mich beehren?«
»Aber gern«, rief der alte Herr. Und man sah, daß es ihm mit der Versicherung Ernst war.
»Ich danke Ihnen«, sagte Scrooge. »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich danke Ihnen tausendmal. Leben Sie recht wohl!«
Er ging in die Kirche, ging durch die Straßen, sah die Leute hin und her eilen, klopfte Kindern die Wange, fragte Bettler und sah hinab in die Küchen und hinauf zu den Fenstern der Häuser; und fand, daß all dies ihm Vergnügen machen könne. Er hatte sich nie träumen lassen, daß ein Spaziergang oder sonst etwas ihn so glücklich hätte machen können. Nachmittags lenkte er seine Schritte nach der Wohnung seines Neffen.
Er ging wohl ein dutzendmal an der Haustür auf und ab, ehe er den Mut hatte anzuklopfen. Endlich faßte er sich Mut und klopfte.
»Ist dein Herr zu Hause, gutes Kind?« sagte Scrooge zu dem Mädchen. »Ein hübsches Mädchen, wahrhaftig!«
»Ja, Sir!«
»Wo ist er, gutes Kind?« fragte Scrooge.
»Er ist im Speisezimmer, Sir, mit der gnädigen Frau. Ich will Sie melden, wenn Sie erlauben.«
»Danke, danke. Er kennt mich«, sagte Scrooge, mit der Hand schon auf der Türklinke. »Ich will hier eintreten.«
Er machte die Tür leise auf, steckte den Kopf hinein und sah sich um. Aber niemand bemerkte ihn: denn sie musterten die Festtafel, die heute besonders schön dekoriert war; junge Hausfrauen sind nämlich in solchen Dingen sehr sorgsam und sehen gern alles in Ordnung.
»Fritz?« lispelte Scrooge.
Heiliger Himmel! Wie seine Nichte erschrak! Scrooge hatte in dem Augenblicke vergessen, daß sie auf dem Hocker in der Ecke gesessen hatte, sonst hätte er es um keinen Preis getan.
»Donnerwetter«, rief Fritz, »wer ist denn das?«
»Ich bin's, dein Onkel Scrooge. Ich habe mich selbst zum Essen eingeladen. Willst du mich hereinlassen, Fritz?«
Ihn hereinlassen! Es war nur gut, daß er ihm nicht den Arm abriß. Der Onkel war in fünf Minuten wie zu Hause. Nichts konnte herzlicher sein, als die Begrüßung seines Neffen. Und auch seine Nichte empfing ihn ebenso freundlich. Auch Topper, als er kam. Und die dicke Schwester, als sie auf der Bildfläche erschien. Und alle, als sie der Reihe nach anrückten. Wundervolle Gesellschaft, wundervolle Spiele, wundervolle Harmonie, wundervolle Glückseligkeit!
Aber am andern Morgen erschien Scrooge früh in seinem Kontor. Oh, er erschien sehr früh. Wenn er nur dort zuerst hätte sein können und Bob Cratchit beim Zuspätkommen erwischen! Das war's, worauf sein Sinn stand. Und es gelang ihm wahrhaftig! Die Uhr schlug neun. Kein Bob. Ein Viertel auf zehn. Kein Bob. Er kam volle achtzehn und eine halbe Minute zu spät. Scrooge hatte seine Tür weit offenstehen lassen, damit er ihn in seinen Kabuff kommen sähe.
Endlich erschien Bob atemlos. Sein Hut war vom Kopf, ehe er die Tür öffnete, auch der Schal vom Hals. Im Augenblick saß er auf seinem Stuhl und eilte mit der Feder übers Papier, als wollte er versuchen, neun Uhr einzuholen.
»Hallo«, knurrte Scrooge, so gut wie es jetzt noch ging, seine sonst übliche Stimme nachahmend. »Was soll das heißen, daß Sie so spät kommen?«
»Es tut mir sehr leid, Sir«, sagte Bob. »Ich habe mich verspätet.«
»Nun, Sie gestehen es ein«, wiederholte Scrooge. »Ich will's auch meinen. Kommen Sie erst mal hier herein.«
»Es ist nur einmal im Jahre, Sir«, sagte Bob, aus seinem Kabuff nähertretend. »Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war ziemlich vergnügt gestern, Sir.«
»Nun, ich will Ihnen was sagen, Freundchen«, meinte Scrooge, »ich kann das nicht länger so mitansehen. Und daher«, fuhr er fort, von seinem Stuhl springend und Bob einen solchen Stoß vor die Brust gebend, daß er wieder in seinen Kabuff zurückstolperte, »und daher will ich Ihr Gehalt erhöhen!«
Bob zitterte und rückte dem Lineal etwas näher. Er hatte sogar augenblicklich die Idee, Scrooge eins damit auf den Kopf zu geben, ihn zu packen und die Leute draußen um Hilfe und eine Zwangsjacke anzurufen.
»Fröhliche Weihnachten, Bob!« sagte Scrooge mit einem Ernst, der nicht zu mißdeuten war, indem er ihn auf die Schulter klopfte. »Fröhlichere Weihnachten, Bob, als ich Sie so manches Jahr habe feiern lassen. Ich will Ihr Gehalt erhöhen und mich bemühen, Ihrer Familie aufzuhelfen. Wir wollen heute nachmittag bei einer Weihnachtsbowle voll dampfenden Punsch über Ihre Angelegenheiten sprechen, Bob! Schüren Sie das Feuer an und kaufen Sie eine andere Kohlenschaufel, ehe Sie wieder einen Tüpfelchen auf ein i setzen, Bob Cratchit!«
Scrooge bewährte sich durchaus. Es tat alles und mehr noch, als er versprochen hatte; und zu Tiny Tim, der nicht starb, war er wie ein zweiter Vater. Er wurde ein so guter Freund und so guter Mensch, wie ihn die liebe alte City oder jede andere liebe alte Stadt oder Dorf in der lieben alten Welt nur gesehen. Einige Leute lachten freilich darüber, daß sie ihn so verändert sahen. Aber er ließ sie lachen und kümmerte sich wenig darum: denn er war weise genug zu wissen, daß nichts Gutes in dieser Welt geschehen kann, worüber nicht von vornherein einige Leute lachen müssen. Weil er aber wußte, daß solcherlei Leute doch blind bleiben würden, dachte er bei sich, es sei besser, daß sie ihre Gesichter zum Lachen in Falten legten, als daß sie das auf weniger anziehende Weise täten. Sein eigenes Herz lachte, und das war ihm genug.
Er hatte keine fernere Berührung mit Geistern und lebte ein recht solides Leben. Aber immer sagte man ihm, er verstehe Weihnachten recht zu feiern, wenn es überhaupt ein Mensch verstünde. Ah, ließe sich doch dies wahrhaftig auch von uns allen sagen! Und so schließen wir mit des armen kleinen zarten Tiny Tims Worten: Gott segne uns alle und jedermann.